Für die Menschen in der Ostukraine nimmt der Krieg kein Ende

Awdijiwka (APA/dpa) - Eine ukrainische Kleinstadt an der Front zu den Separatisten: Die Bewohner haben Bitteres durchlebt, ein Leben in Frie...

Awdijiwka (APA/dpa) - Eine ukrainische Kleinstadt an der Front zu den Separatisten: Die Bewohner haben Bitteres durchlebt, ein Leben in Frieden ist noch weit weg. Die Regierung in Kiew tut nicht viel für diese Bürger im Osten.

„Der Bombentreffer? Den kann ich auf dem Handy zeigen“, sagt Alexej. Der Bauingenieur in der ostukrainischen Stadt Awdijiwka klickt sich durch bis zu einem Foto seiner zerstörten Wohnung: Ein eineinhalb Meter breites Loch klafft im Dach, die Trümmer begraben seinen Computertisch. „Die Militärs meinten, das war eine Granate mit mindestens 120 Millimeter Durchmesser.“ Verletzt wurden Alexej (48) und seine Familie nicht. Sie hatten sich vor den Kämpfen zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten bis vor einem Jahr zu seinen Eltern geflüchtet.

Awdijiwka (russisch: Awdejewka) war und ist eine Frontstadt, kontrolliert von der ukrainischen Armee. Vier Kilometer sind es bis zum Dorf Opytne mit den vordersten Stellungen der Ukrainer, sechs Kilometer bis zum völlig zerstörten Flughafen von Donezk. Der ist in der Hand der Separatisten. Zwar herrscht offiziell Waffenruhe, doch nachts hören die Einwohner von Awdijiwka, dass beide Seiten schießen.

Tagsüber leben sie ein Leben voller Sorgen und Einschränkungen. „Die Gehälter sind die gleichen wie vor dem Krieg, aber die Preise sind gestiegen“, erzählt Alexej. Er selbst ist arbeitslos; seine Firma in Donezk, eigentlich nur 20 Busminuten entfernt, liegt nun wie auf einem anderen Stern. Auch zum Fußball kann er nicht mehr. Sein Team Schachtjor Donezk spielt in Lemberg (Lwiw) in der fernen Westukraine.

Die Hausfrau Irina (46) hat bei einer Lebensmittelverteilung Grütze, Speiseöl und gesüßte Milch für die jüngeren ihrer fünf Kinder bekommen. Sie passt auf, wenn die zwei Jüngsten im Schnee tollen. „Ich erlaube ihnen nicht, irgendwo allein hinzugehen“, sagt sie. In Awdijiwka sind Eltern froh, dass es das Internet gibt - so haben die Kinder wenigstens zu Hause eine Abwechslung.

Zerstörungen sind in der Stadt, die vor dem Konflikt 35.000 Einwohner zählte, an vielen Stellen zu sehen. Am Stadtrand stehen große Wohnblöcke leer. Fast jede Wohnung hat einen Treffer abbekommen. In bewohnten Häusern sind die Fensteröffnungen entweder noch mit Brettern vernagelt oder notdürftig neu verglast.

„Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem mein Haus zerstört wurde“, sagt ein Taxifahrer, der eine Raucherpause einlegt. „Es war der 13. Februar 2015.“ Tags zuvor hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Minsk ein Abkommen geschlossen, das die Kämpfe eigentlich beenden sollte.

Bis zu 7.000 Wohnungen seien in Awdijiwka beschädigt worden, sagt der Sekretär der Stadtverwaltung, Artjom Sabadasch. „Außerdem haben 600 Einfamilienhäuser direkte Treffer abbekommen.“

Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. Auch Alexej kann noch nicht in seine Wohnung zurück. Die gröbsten Schäden an Dach und tragenden Wänden haben Bauarbeiter im Auftrag der Kokerei beseitigt. Die größte Fabrik von Awdijiwka gehört dem Oligarchen Rinat Achmetow, dessen Wirtschaftsimperium sich auf beiden Seiten der Front erstreckt. Seine Fabriken standen auch während der Kämpfe nicht still. Doch für die Innenreparatur kommt niemand auf, und Alexej hat als Arbeitsloser kein Geld dafür.

Dass Achmetow die Bauarbeiten als Spende bezahlt, bestätigt auch Sabadasch. Das Rote Kreuz und andere Hilfswerke hätten für Awdijiwka Fenster, Baumaterial, Lebensmittel oder Medikamente gestiftet. Nur die ukrainische Regierung in Kiew kommt in Sabadaschs Aufzählung der Geber nicht vor. „Im letzten November sollten wir sieben Millionen Griwna (250.630 Euro) bekommen. Zu spät und zu wenig.“ Weil die Stadt die Haushaltsmittel nicht so schnell ausgeben konnte, verfielen sie.

„Awdijika gehört zur Ukraine“, steht stolz an einer Hauswand. Doch der Staat tut wenig, um die Zuneigung seiner geplagten Bürger im Osten zu gewinnen. Das Verhältnis der Einwohner zur ukrainischen Armee ist gespannt - es sind keine Besatzer, aber auch keine Beschützer. „Es sind einfach zu viele Leute mit Waffen unterwegs“, sagt Alexej.

Wie der Konflikt gelöst werden soll, wissen die Menschen in Awdijiwka nicht. Von hier aus sind die entscheidenden Hauptstädte Moskau und Kiew weit entfernt. „Wenn es nur bald vorbei wäre“, sagt Alexej. Und Artjom Sabadasch von der Stadtverwaltung sagt: „Hoffentlich geht das alles vorüber wie ein böser Traum.“