Flüchtlinge - MSF: Viel Bedarf an psychosozialer Betreuung

Wien (APA) - In der Betreuung von traumatisierten oder unter Stress stehenden Flüchtlingen sollte die medizinische Versorgung Hand in Hand m...

Wien (APA) - In der Betreuung von traumatisierten oder unter Stress stehenden Flüchtlingen sollte die medizinische Versorgung Hand in Hand mit psychosozialer Unterstützung gehen, um negative Langzeitfolgen zu vermeiden. Dafür plädiert die Präsidentin der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (Medecins Sans Frontieres, MSF) Österreich, Margaretha Maleh.

„Auch in Österreich gibt es noch viel Bedarf“, sagte Maleh, selbst Psychotherapeutin, im Gespräch mit der APA. „Viele Flüchtlinge haben traumatische Situationen erlebt. Wenn - nach der Abdeckung der Grundbedürfnisse - nicht auch psychosoziale Hilfe angeboten wird, kann sich eine breite Palette von emotionalen, kognitiven, psychischen und sozialen Problemen manifestieren, unter anderem Konzentrationsmangel. Dann kann es im Deutschkurs schwierig werden. Oder es kommt zu Aggressionsausbrüchen, weil eine permanente Anspannung nicht mehr kontrolliert werden kann.“

„Statt den Betroffenen zu ermöglichen, zur Ruhe zu kommen, ein Gefühl der Sicherheit und Vertrauen aufzubauen, werden derzeit seitens der politisch Verantwortlichen immer weitere Beschränkungen und Hürden beschlossen, die zusätzlichen Stress hervorrufen - etwa durch die Frage: Was geschieht mit mir als nächstes? Wo sind meine Angehörigen?“, erklärte Maleh.

In internationalen MSF-Projekten zur Betreuung von Flüchtlingen sind seit vielen Jahren nicht nur Mediziner, sondern auch Psychotherapeuten oder Psychologen tätig. „Ärzte müssen oft wie am Fließband arbeiten - gerade in Flüchtlingslagern, wo viele Menschen gleichzeitig ankommen und der Bedarf enorm ist. Psychotherapeuten haben den Vorteil, dass sie sich für die Menschen mehr Zeit nehmen können“, erläuterte Maleh.

Wichtig ist zu wissen, dass der Ausdruck der Beschwerden je nach soziokulturellem Kontext unterschiedlich ist. „In einem syrischen Flüchtlingslager im Nordirak hat mir eine Frau ihr Problem so geschildert: ‚Es kommt nichts mehr aus meinen Händen.‘ Das ist für uns zunächst unverständlich. Sie hat damit gemeint, dass sie sich wie gelähmt fühlt und im Alltag nichts mehr auf die Reihe bekommt - ein Zeichen von Überlastung durch langandauernden Stress. Bei uns würde man wahrscheinlich ‚Born out‘ sagen“, erläuterte die Therapeutin. Ebenso unterschiedlich wie die Beschreibung der Beschwerden kann die benötigte Hilfe sein. „Die Ideen, welche Art von Unterstützung und Behandlung hilfreich ist, ist nicht eins zu eins aus dem westlichen Denkschema auf andere Kulturen übertragbar“, betonte die Präsidentin von MSF Österreich.

Maleh empfiehlt, dass psychosoziale Betreuung auf mehreren Ebenen erfolgt: Parallel zur Abdeckung der Grundbedürfnisse wie Essen, Unterkunft, medizinische Grundversorgung und Information ist die Stützung der Gemeinschaft und Familien durch Beteiligung die Einbindung in Strukturen erforderlich. Das kann eine Schule ebenso sein wie eine religiöse Institution. Wichtig: Kommunikationsmöglichkeit in der eigenen Sprache. „Muttersprache schafft Heimatgefühl und Vertrauen“, sagte Maleh. Ebenso seien spezielle Angebote für besonders belastete Menschen notwendig - für alte Menschen, Kinder, Schwangere oder Behinderte. Schwerwiegendere Psychosen oder Depressionen bräuchten unbedingt Behandlung auf Expertenebene.