Prinzessin Camilla kann alles lernen
Die Gesellschaft gegen sich: Die schwierige Situation einer Frau, die ein behindertes Kind bekommt. Für die Imsterin Elke Sparber war es eine Entscheidung fürs Leben.
Von Michaela Spirk-Paulmichl
Imst, Innsbruck –Camilla liest gerne, sie liebt Pippi Langstrumpf, Kuchen und wäre gerne eine Prinzessin. Wie die meisten anderen Mädchen ihres Alters auch. Und sie weiß, was sie will: Schwimmen und Skifahren lernen. Abgesehen davon, dass die Siebenjährige dafür mehr Zeit benötigt als andere: „Camilla kann alles lernen“, sagt ihre Mutter Elke Sparber. Das kleine Mädchen ist etwas Besonderes. Eine Bereicherung für die Familie, nicht mehr wegzudenken sowieso. „Jeder in Imst kennt sie“, heißt es. Obwohl oder gerade weil Menschen wie sie verschwinden, allein 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom werden abgetrieben.
Elke Sparber hat einen anderen Weg gewählt – eine sehr einsame Entscheidung, wie sie erfahren musste. „Ein Mensch ist ein Mensch“, sagt sie. Ein Schwangerschaftsabbruch war nie eine Option. Anstatt die nötige Unterstützung in dieser „psychischen Ausnahmesituation“ zu bekommen, wurde sie in einem Krankenhaus über die „besten“ Abtreibungsmethoden aufgeklärt. „Nach drei Tagen ist alles vorbei!“
„Natürlich müssen sich die Ärzte absichern“, hat sie Verständnis. Und unterschrieb, dass sie sich trotz allem für das Kind entscheide. Selbst wenn es einen Herzfehler haben sollte, wie – fälschlicherweise – diagnostiziert. „Entschuldige, ich kann nicht mehr für sie tun“, hieß es einmal. Aber das traf es nicht. „Die Medizin ist weiter als der menschliche Umgang mit den Betroffenen.“ Die Schwangere hatte das Gefühl, zur Abtreibung gedrängt zu werden. „Alles ging sehr schnell!“ Dann ein Schreiben mit PS: „Eine Berufstätigkeit wird nicht mehr möglich sein.“ Ein eingeschriebener Brief, sie könne immer noch abtreiben, trotz fortgeschrittener Schwangerschaft. Aussagen, wie: „Glauben Sie nicht, dass Abtreibung die bessere Lösung ist?“
Die werdende Mutter ergriff selbst die Initiative, traf sich mit betroffenen Familien: „Die Eltern wirkten zufrieden, die Kinder liebenswert und glücklich.“ Niemand habe mit einer Frau gerechnet, die ein behindertes Kind zur Welt bringen will, sagt Elke Sparber, inzwischen Sonderschullehrerin in Imst. Durch ihre Tochter sei sie gelassener, in mancher Hinsicht geduldiger geworden. „Die Erlebnisse, die ich gemacht habe, waren negativ, aber ich bin nicht verbittert.“
Der bei der Berlinale vorgestellte Film „24 Wochen“ thematisiert diesen Konflikt werdender Eltern. An der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe in Innsbruck wird nur in einzelnen Fällen ein später Schwangerschaftsabbruch vorgenommen, und auch nur dann, wenn diagnostiziert wurde, dass das Kind innerhalb der ersten Wochen sterben wird. Direktor Christian Marth spricht von weniger als zehn Eingriffen in einem Jahr. Der Großteil der Fehlbildungen wird bereits sehr früh diagnostiziert. Doch egal, wann der Befund feststeht: Die Situation, vor allem aber die Entscheidung für oder gegen das Kind sei für alle Beteiligten – für die Eltern, vor allem die Mutter, aber auch für die behandelnden Ärzte – eine der schwierigsten überhaupt.
Marth: „Wir entscheiden nicht zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben.“ Thema sei vielmehr: „Können die Eltern, kann die Mutter mit der Situation umgehen, was ist zumutbar?“ Schließlich spreche man nicht von einem fehlender Finger, einer fehlenden Hand – „hier würden wir einem Abbruch nie zustimmen. Wir reden von Kindern mit schweren Schädelfehlbildungen, mit komplexen Herzfehlern, die nicht operierbar sind.“
Hinzu komme, dass ein Kind mit Behinderung für viele Beziehungen eine unüberbrückbare Belastung sei, „wie Untersuchungen belegen, ist die Trennungsrate außerordentlich hoch“. Umso erfreulicher sei, dass sich auch immer wieder Eltern nach genauer Aufklärung für ihr Kind entscheiden. Dass sich Frauen wie Elke Sparber dafür regelrecht rechtfertigen müssten, sei „unerträglich“.
Über die Zahl der Abtreibungen in Österreich gibt es unterschiedliche Schätzungen, von 20.000 bis 60.000 ist die Rede. Heute wird ein parlamentarischer Ausschuss über die weitere Behandlung einer Petition von „Aktion Leben“ entscheiden, die Initiative fordert anonyme Statistiken, bei der auch die Motive für eine Abtreibung erhoben werden – „auch um schwangere Frauen entsprechend beraten zu können“, sagt Herlinde Keuschnigg, „Aktion Leben“ Tirol. „In Österreich gibt es viel zu wenige Beratungseinrichtungen.“
Camilla wird im Herbst in die Schule gehen. Auf ihrer Schultasche soll ein Pferd abgebildet sein – passend für eine echte Prinzessin.