Anschlag in Ankara mit 37 Toten verschärft Kurden-Konflikt
Ankara/Erbil (APA/AFP/dpa/Reuters) - Einer der schwersten Anschläge in der Türkei der jüngeren Vergangenheit verschärft den Kurdenkonflikt. ...
Ankara/Erbil (APA/AFP/dpa/Reuters) - Einer der schwersten Anschläge in der Türkei der jüngeren Vergangenheit verschärft den Kurdenkonflikt. Nach dem Attentat von Ankara mit 37 Toten setzt die Türkei auf Härte: Die Regierung geht von einer Täterschaft der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus und verstärkte die Angriffe auf die Rebellen. Vier mutmaßliche Komplizen der Täter wurden am Montag im Kurdengebiet festgenommen.
Türkische Kampfjets bombardierten laut Armeeangaben unterdessen Stellungen der PKK im Nordirak. Nach Regierungsangaben wurden bei dem Anschlag am Sonntagabend mindestens 37 Menschen getötet, darunter eine Attentäterin, sowie mehr als 120 weitere verletzt. Den Behörden zufolge hatten ein oder zwei Selbstmordattentäter, darunter mindestens eine Frau, gegen 18.34 Uhr Ortszeit (17.35 Uhr MEZ) ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug an einer Bushaltestelle in der Nähe des Kizilay-Platzes in Ankara explodieren lassen. Die Gegend war zur Tatzeit sehr belebt. Zu den Opfern gehörten viele Studenten und Schüler.
Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand, doch vermuteten die Behörden die PKK hinter der Gewalttat. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, es gebe „konkrete Informationen über die Terrororganisation, die diesen feigen Angriff ausgeführt hat“. Er nannte aber keine Einzelheiten. „Wir glauben, dass eine Angreiferin eine Frau mit PKK-Verbindungen war“, sagte ein Behördenvertreter. Demnach haben ein Mann und die Frau den Angriff ausgeübt.
Laut Medienberichten war die Attentäterin eine 24-jährige Studentin, die in einem Prozess wegen PKK-Mitgliedschaft angeklagt war, sich aber für die Dauer des Verfahrens auf freiem Fuß befand. Laut Sicherheitskreisen wurde die Täterin 1992 geboren und stammt aus der Stadt Kars in der Osttürkei. Im Laufe des Montags wollte die Regierung offiziell bekannt geben, welche Organisation hinter dem Anschlag steht.
Die Polizei im südostanatolischen Saniurfa nahm einer Meldung der offiziellen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge vier Verdächtige fest, die bei dem Attentat in Ankara geholfen haben sollen. Laut Medienberichten war das bei dem Anschlag verwendete Fahrzeug aus der Provinz Sanliurfa nach Ankara gebracht worden. Anadolu meldete außerdem, bei Anti-Terror-Operationen gegen die PKK in Istanbul und weiteren türkischen Städten seien am Montag mindestens 79 Verdächtige festgenommen worden. Darunter seien neun Minderjährige. 15 der Festgenommenen würden beschuldigt, Propaganda für die PKK betrieben und Staatsbedienstete beleidigt zu haben. Bei den Razzien seien auch Waffen beschlagnahmt worden.
Bei dem Anschlag im Herz der Innenstadt - nur wenige Hundert Meter von den Justiz- und Innenministerien entfernt - wurde ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug gezündet. Es soll sich um den gleichen Sprengstoff gehandelt haben wie bei dem Anschlag vom 17. Februar, bei dem 29 Menschen starben. Die Bombe war Polizeikreisen zufolge mit Schrotkugeln und Nägeln gespickt gewesen, um die Wirkung zu maximieren.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verurteilte den Anschlag. Der amtierende Vorsitzende, Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erklärte: „In diesen dunklen stunden stehen wir Seite an Seite mit dem türkischen Volk.“ Papst Franziskus sprach laut Kathpress von einem „abscheulichen Akt der Gewalt“. In einem Beileidtelegramm an Erdogan sagte er der türkischen Bevölkerung zudem seine „spirituelle Nähe und Solidarität“ zu.
Im Nordirak bombardierte das türkische Militär nach eigenen Angaben mit elf Kampfflugzeugen insgesamt 18 Ziele, darunter Schutzräume der PKK und Waffendepots. Die Rebellen unterhalten rund hundert Kilometer südlich der türkischen Grenze im nordirakischen Kandil-Gebirge ihr Hauptquartier. Darüber hinaus verhängten die Behörden in drei Städten im Südosten eine Ausgangssperre, um dort besser gegen kurdische Aufständische vorgehen zu können. Viele Bewohner sollen die Orte fluchtartig verlassen haben.
Die Gewalt hat sich seit dem Scheitern einer mehr als zweijährigen Waffenruhe mit der PKK im Juli vor allem im Südosten des Landes deutlich verschärft. Hinzu kommen die andauernden Auseinandersetzungen an den Grenzen zum Bürgerkriegsland Syrien und dem Irak sowie vermehrte Anschläge in Ankara und Istanbul. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist viel daran gelegen, den Eindruck zu vermitteln, die Lage unter Kontrolle zu haben. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu kündigte über Twitter an, die „Wurzeln dieses Terrornetzwerks auszugraben“, das die Einheit und den Frieden der Türkei gefährde.
Die türkische Regierung befürchtet, dass die kurdischen Kämpfer in Syrien eine Wiederbelebung der Separationsbestrebungen der Kurden in der Türkei auslösen. Auf der anderen Seite ist das Land am Kampf gegen die Extremistenmiliz IS in Syrien und dem Irak beteiligt. Der IS soll für den Anschlag in Istanbul im Jänner verantwortlich sein, bei dem zehn deutsche Touristen starben. Zugleich ist die Türkei für die EU ein Schlüsselland zur Linderung der Flüchtlingskrise. Die meisten Emigranten kommen über die Türkei nach Griechenland und damit in die EU. Beschlüsse zur Kontrolle der Zuwanderung sollen beim EU-Türkei-Gipfel Ende der Woche fallen.
Wirtschaftlich zeigen die jüngsten Anschläge bereits Auswirkungen. Allein im vierten Quartal 2015 waren die Einnahmen im Geschäft mit Urlaubern um rund 14 Prozent eingebrochen. Erdogan hatte nach dem Anschlag eine harte Antwort des Staates angekündigt und erklärt, der Terror solle „in die Knie“ gezwungen werden. Es handelte sich um den dritten Anschlag im Zentrum Ankaras binnen fünf Monaten. Im Oktober starben mehr als hundert Menschen bei einem Selbstmordanschlag, für den die Regierung die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich machte. Mitte Februar wurden nahe dem Kizilay-Platz bei einem Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi 29 Menschen getötet. Zu dem Anschlag bekannte sich damals die extremistische Kurdenorganisation Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), die dem Umfeld der PKK zugerechnet wird.
(Grafik 0291-16 Anschlag in Ankara vom 13.03.2016)