Revolutionäre neue Hypothesen in der Neurologieforschung
Die ÖGN veranstaltet ab 16. März in Innsbruck ihre Jahrestagung. Dabei geht es um neue Erkenntnisse zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen
Wien, Innsbruck – Neue Hypothesen könnten die Neurologieforschung revolutionieren. So gibt es Hinweise darauf, dass der Morbus Parkinson („Schüttellähmung“) seinen Ursprung im Darm mit „infektiösen“, falsch gefalteten Proteinen hat, hieß es am Montag bei einer Pressekonferenz der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) in Wien.
Die ÖGN veranstaltet ab 16. März in Innsbruck ihre Jahrestagung. Dabei geht es auch um völlig neue Erkenntnisse zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen. Immunologie und sogar Teilbereiche der Infektiologie spielen offenbar in der Grundlagenforschung eine immer größere Rolle.
„Parkinson durch Dopaminmangel ist Aufsehen erregende These“
„Wir hätten uns früher nie gedacht, dass wir uns als Neurologen einmal mit Veränderungen im Darm oder in der Haut beschäftigen würden“, sagte Werner Poewe, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck.
Die neuen Thesen zur Krankheitsentstehung von Morbus Parkinson, der schlussendlich durch einen Mangel an Dopamin im Gehirn durch den Untergang der Dopamin-produzierenden Zellen führt, klingen buchstäblich aufregend. Man hat vor Jahren bemerkt, dass sich im Laufe der Erkrankung nicht abbaubare Zusammenballungen des Proteins Alpha-Synuclein in den Nervenzellen bilden. Sie können durch eine falsche Faltung von den natürlichen Abbaumechanismen nicht beseitigt werden. Daraus entstand für den Morbus Parkinson eine „Prion-Hypothese“ in Ableitung der Krankheitsursachen für BSE bzw. die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, wo räumlich falsch strukturierte Proteine im Nervensystem wie infektiöse Krankheitserreger weiterwandern und Schaden anrichten.
„Wenn irgendwo so etwas passiert, werden diese Proteine auch freigesetzt, wandern zu den nächsten Zellen und können ihre falsche Faltung übertragen“, sagte Poewe. Dies könnte auch bei der schädlichen Alpha-Synuclein-Form im Rahmen der Schüttellähmung der Fall sein.
Zwei Belege dafür das die These stimmt
Diese These wird durch Erkenntnisse ergänzt, die darauf hinweisen, dass das erste falsch gefaltete Synuclein im Darm entsteht, dann über den Vagus-Nerv ins Gehirn wandert und sich in jenen Regionen festsetzt, wo das Dopamin produziert wird. Dort tritt dann die Schädigung auf.
Es gibt zwei Belege dafür, dass die Hypthese stimmen könnte: Dresdener Neurowissenschafter haben in einem Tiermodell durch einen entzündungsfördernden Stoff bei den Versuchstieren die Bildung solcher „falscher“ Alpha-Synucleine hervorgerufen und ihre Wanderung über den Vagus-Nerv - also über die sogenannte Darm-Hirn-Achse - verfolgt. Bei den Tieren entstanden schließlich Parkinson-ähnliche Krankheitsbilder. Durchtrennten die Wissenschafter aber nur jenen Vagus-Nerven-Strang, der zu einer Gehirnhälfte führt, war nur eine Gehirnhälfte von den Veränderungen betroffen.
Gestützt wird das eventuell auch durch rückblickende epidemiologische Untersuchungen aus Schweden. Vor dem Einsatz der modernen Antazida und Protonenpumpenhemmer war die chirurgische Durchtrennung des Vagus-Nervs bei Patienten mit sonst nicht behandelbaren Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren eine Behandlungsmöglichkeit. Poewe sagte dazu: „Bei Menschen, bei denen man den gesamten Vagus-Nerv durchtrennt hat, war innerhalb von 20 Jahren die Parkinson-Erkrankungsrate geringer.“
Dass die Immunologie in diesem Bereich immer wichtiger wird, zeigt auch der Umstand, dass es immer mehr Forschungen zu Therapeutika auf der Basis von Impfungen etc. für chronische neurologische Erkrankungen gibt. In Innsbruck läuft beispielsweise eine Studie mit 32 Parkinson-Patienten, die eine Impfung gegen Alpha-Synuclein erhalten.
Hypothese: Demenzrate flacht ab
Auch bei den Demenzerkrankungen gibt es aktuell völlig neue Erkenntnisse. „Es gibt erste Daten, dass die Inzidenz (Häufigkeit der Neuerkrankungen; Anm.) laut groß angelegten Studien abnimmt. Das könnte allerdings maximal zu einer Abflachung der steilen Kurve führen“, sagte bei der Pressekonferenz der Neurologe Reinhold Schmidt (MedUni Graz).
In der weltweit berühmtesten epidemiologischen Langzeitstudie (Framingham Studie/Boston/USA) wurden vor kurzem deutliche Belege für eine solche Entwicklung gefunden. Schmidt sagte am Montag dazu: „Seit 1977 ist in der Studie auch ein kognitiver Teil dabei (Fragen nach der Hirnleistung der Teilnehmer; Anm.). Man hat die Daten bis 2008 analysiert.“ Wurde in der ersten von drei Untersuchungsepochen noch bei 3,8 von hundert Personen eine neue Demenzerkrankung diagnostiziert, waren es in den 2000er-Jahren nur noch zwei Diagnosen je hundert Teilnehmern.
Auch in Sachen Morbus Alzheimer wird an Impfungen in Österreich gearbeitet.
Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Möglicherweise spielen bessere Ausbildung, ein gesünderer Lebensstil und/oder die zunehmende Verbreitung auch antientzündlich wirkender Medikamente eine Rolle. Letzteres könnten niedrig dosiertes Aspirin in der Infarktprophylaxe oder die Statine zur Senkung zu hoher Blutfettwerte sein. Eine solche Entwicklung könnte jedenfalls enorm wichtig für die Gesellschaft der Zukunft werden. „Wenn es gelänge, das Auftreten einer Demenz um fünf Jahre zu verzögern, wären das innerhalb von 15 Jahren um 50 Prozent weniger Demenzerkrankungen“, sagte der Grazer Neurologe.
Auch in Sachen Morbus Alzheimer wird an Impfungen mit klinischen Versuchen auch in Österreich gearbeitet. Eine solche Phase-I-Studie auf Verträglichkeit mit einer Vakzine gegen das sich bei der Alzheimer-Krankheit in den Nervenzellen des Gehirns ansammelnde Tau-Protein ist vor kurzem erfolgreich abgeschlossen worden. Zwar zeigten 29 von 30 Probanden eine immunologische Reaktion, doch einen Beweis für die Wirksamkeit stellt das noch nicht dar. Die Vakzine wurde gut vertragen.
Erstmals gibt es mit dem monoklonalen Antikörper Ocrelizumab, der sich gegen die B-Zellen im Blut richtet, eine Therapie für Patienten mit Multipler Sklerose, bei der die Krankheit von Beginn an nicht schubförmig verläuft, sondern ständig fortschreitet. Das sagte Franz Fazekas, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Graz. „Nach 24 Wochen war bei den Behandelten die Rate des Fortschreitens der Erkrankung um 25 Prozent geringer.“ Wahrscheinlich sei das besonders ein Ansatz für eine Behandlung in der Frühphase der Erkrankung. (APA, tt.com)