ANALYSE-Superstar Kretschmann verdeckt Schwächen der Grünen
* Streit um sichere Herkunftsländer
* Grüne außerhalb Baden-Württembergs deutlich schwächer
* Linkem Flügel fehlt Führungsfigur
- von Hans-Edzard Busemann
Berlin, 14. Mrz (Reuters) - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gab sich am Montag bescheiden: „Die baden-württembergischen Grünen haben ein furioses Ergebnis erzielt“, sagte er vor der Berliner Presse und spielte damit die entscheidende Rolle hinunter, die er für den sensationellen Aufstieg der Grünen zur stärksten Kraft im einstigen Stammland der CDU spielte. Die Bedeutung des außerordentlich beliebten 67-Jährigen für den grünen Wahlsieg stellte dann Parteichef Cem Özdemir klar: „Diese Wahl war ein Referendum über Winfried Kretschmann.“
Kretschmann, der zu den Realos unter den Grünen zählt, kann sich auch durch das Wahlergebnis in Rheinland-Pfalz bestätigt sehen. Während die Grünen in Baden-Württemberg ihr Wahlergebnis auf 30,3 Prozent steigern konnten, sackten die Parteifreunde um über zehn Punkte auf 5,3 Prozent ab. Der in Rheinland-Pfalz starke linke Flügel setzte im Wahlkampf auf ein klares Nein zur Ausweitung der sicheren Herkunftsländer. Kretschmann bekräftigte dagegen am Montag, er behalte sich vor, auch Algerien, Marokko und Tunesien unter bestimmten Bedingungen in die Liste aufzunehmen. Deren Bürger können dann leichter abgeschoben werden. Dabei hat die Bundesspitze der Grünen die Pläne der Bundesregierung scharf kritisiert. Auch ein Bundesparteitag wertete das Konzept „sichere Herkunftsländer“ als grundsätzlich falsch.
Die Realos in der Partei kämen zwar nicht auf die Idee, die gegenläufigen Trends in beiden Ländern allein der Flüchtlingsfrage zuzuschreiben. Allerdings sehen sie in dem betont pragmatischen Kurs von Kretschmann den Schlüssel zum Erfolg im ganzen Bundesgebiet. Linke befürchten dagegen die Aufgabe hehrer Prinzipien und die weitere Verbürgerlichung der einst aus Protestbewegungen entstandenen Partei.
STREIT UM FLÜCHTLINGSPOLITIK UND STEUERN
Bei den Grünen hat sich eine Menge Streitpunkte angesammelt: In der Flüchtlingskrise geht es um den Gegensatz einer Begrenzung der nach Deutschland kommenden Menschen und dem humanistischen Prinzip, helfen zu wollen. In der Steuerpolitik betonen die Realos wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen, die Linken wollen mit höheren Abgaben für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Und in der Koalitionsfrage hat der linke Parteiflügel immer noch größere Vorbehalte gegen ein Zusammengehen mit der Union als die Realos.
Flügelübergreifend herrschte Konsens, Kretschmann im Wahlkampf nicht mit Streitereien zu beschädigen und damit auch ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl 2017 zu setzen. Nach den drei Landtagswahlen wird nun möglicherweise der Burgfrieden zwischen beiden Lagern enden. Allerdings können die Realos trotz Kretschmanns Wahlsieg nicht automatisch davon ausgehen, im innerparteilichen Ringen einen entscheidenden Vorteil verbucht zu haben.
KRETSCHMANN URSACHE FÜR WAHLERFOLG DER GRÜNEN
Den Grund für den Wahlerfolg in Baden-Württemberg ist nach Wahlanalysen die Beliebtheit Kretschmanns. Jenseits des Südwestens schaffen die Grünen dagegen in Umfragen Werte bis höchstens 17 Prozent, häufig liegen sie nur im einstelligen Bereich - unabhängig davon ob Realos oder linker Flügel dominieren. In Sachsen-Anhalt schafften sie es am Sonntag nur knapp mit 5,2 Prozent, im Landtag zu bleiben. Bundesweit kommen die Grünen auf Werte bis elf Prozent. Zwar ist das deutlich besser als die 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl 2013. Aber eine beherrschende politische Kraft wie in Baden-Württemberg sind die Grünen bundesweit nicht.
Während die scheinbare Stärke der Realos bei den Grünen viel mit den Erfolgen Kretschmanns zu tun hat, fehlt dem linken Flügel eine Gallionsfigur. Die Lücke, die Jürgen Trittin mit seinem Rückzug aus der Fraktionsspitze 2013 hinterließ, haben auch nach parteiinterner Einschätzung bislang weder Nachfolger Anton Hofreiter noch Parteichefin Simone Peter ausfüllen können.
Wie sich die Grünen in dieser Gemengelage weiterentwickeln werden, ist schwer absehbar. Ein Gradmesser für die Verschiebungen im Gleichgewicht der Lager wird die Kür der beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 sein. Bislang einzig ausgewiesener Linker in der Bewerberliste für die Urwahl des Spitzenduos ist Hofreiter. Aufseiten der Realos tritt der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck an. Auch die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckart, hat Ansprüche angemeldet. Sie ist jedoch keinem der beiden Lager eindeutig zuzuordnen. Gerechnet wird damit, dass der Realo und Parteichef Cem Özdemir noch seinen Hut in den Ring werfen wird. Damit würde auch der Druck auf Peter steigen, sich als linke Alternative zu bewerben.
Eines scheint jedenfalls ausgeschlossen. Der 67 Jahre alte Kretschmann hat bislang bundespolitische Ambitionen weit von sich gewiesen. Das beste Zugpferd der Grünen möchte in Baden-Württemberg bleiben. (Redigiert von Klaus-Peter Senger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069-7565 1312 oder 030-2888 5168.)