Warum Russland aus Syrien abzieht
Moskau erhöht den Druck auf das syrische Regime, in den Verhandlungen Zugeständnisse zu machen. Der UNO-Vermittler will die Konfliktparteien zu einer Übergangsregierung und Wahlen verpflichten.
Von Floo Weißmann
Damaskus, Moskau, Innsbruck –Nach dem überraschenden Befehl von Kremlchef Wladimir Putin zum Teilabzug haben am Dienstag die ersten russischen Kampfjets Syrien verlassen. Eine Staffel Suchoi-34-Bomber und eine Tupolew-154 flogen vom Stützpunkt im syrischen Latakia nach Russland.
Moskau habe die wichtigsten seiner Ziele in Syrien erreicht, sagte der Innsbrucker Politikprofessor und Osteuropa-Experte Gerhard Mangott der TT. Moskau sei es darum gegangen, den Zusammenbruch des Regimes von Bashar al-Assad zu verhindern sowie „deutlich zu machen, dass Russland in der Lage ist, Macht auch in entfernte Regionen zu projizieren“. Moskau sei es allerdings nie um eine militärische Lösung des Konflikts gegangen, „wie Assad sich das vorgestellt hat“, sondern um eine politische Lösung, die auch russische Interessen berücksichtigt.
Mangott zufolge ist in den vergangenen Wochen deutlich geworden, dass Russland und das Assad-Regime nicht dieselben Ziele verfolgen. Während Assad noch offen davon sprach, das ganze Land zurückzuerobern, hat Russland gemeinsam mit den Vereinigten Staaten eine Waffenruhe ausgearbeitet und die Genfer Friedensverhandlungen vorbereitet. Der Teilabzug erhöhe jetzt den Druck auf Assad, in diesen Verhandlungen Zugeständnisse zu machen, meint Mangott.
Putins Strategie sei zugleich riskant, weil sie Assad schwächt und die syrische Opposition ermuntern könnte, in den Verhandlungen unrealistische Forderungen zu stellen. Mangott nennt den Teilabzug deshalb eine „Vorleistung gegenüber den USA“, die nun ihrerseits Druck auf die syrische Opposition ausüben müssten. Moskau sei offensichtlich bemüht, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, meint Mangott. US-Präsident Barack Obama telefonierte noch in der Nacht auf Dienstag mit Putin.
Allerdings hat Russland für den Fall vorgesorgt, dass die Verhandlungen scheitern. Denn die russischen Stützpunkte in Syrien, die es bereits vor dem Bürgerkrieg gab, bleiben erhalten. Dazu kommen Kriegsschiffe im Mittelmeer und in der Kaspischen See sowie die Möglichkeit, Langstreckenbomber aus Russland starten zu lassen. Moskau kann somit jederzeit in Syrien eingreifen, und der Teilabzug bedeutet vor allem eine politische Botschaft.
Diese Botschaft kommt zu einem praktisch und symbolisch wichtigen Datum. Am Montag hat in Genf die seit Anfang Februar verschobene Verhandlungsrunde begonnen. Und am Dienstag jährte sich der Beginn des Syrien-Konflikts zum fünften Mal. Im März 2011 ließ das Regime friedliche Demonstrationen für Reformen brutal niederschlagen; zahlreiche Menschen wurden getötet, Tausende inhaftiert und gefoltert. Es folgte ein bewaffneter Aufstand. Seitdem sind in dem Bürgerkrieg nach unterschiedlichen Angaben bis zu einer halben Million Menschen umgekommen. Das halbe Land ist auf der Flucht.
Indessen pendelt UNO-Vermittler Staffan de Mistura in Genf zwischen den Delegationen des Regimes und der Opposition. Er will beide Seiten zu einer Übergangsregierung, einer neuen Verfassung sowie Präsidenten- und Parlamentswahlen unter UNO-Aufsicht verpflichten. Zu den größten Streitpunkten zählt dabei die zukünftige Rolle von Assad. Das Regime verweigert bisher einen Rückzug von Assad und bereitet in Eigenregie Wahlen schon für April vor.
Offen blieb zunächst, wie das Regime auf den Teilabzug ihres wichtigsten Verbündeten reagiert. Die syrische Opposition forderte gestern einen vollständigen Abzug Russlands, und die jihadistische Al-Nusra-Front, die von der Waffenruhe ausgenommen ist, sprach von einer Niederlage Russlands und kündigte eine Offensive an.