Gammler, LSD und laute Stones - Wie 1966 das Bewusstsein erweiterte

Wien (APA) - „Die langsamste Jugendbewegung aller Zeiten“ (der „Spiegel“) macht dem Spießbürger Sorge: das Gammlertum. Zum Glück gibt es Leu...

Wien (APA) - „Die langsamste Jugendbewegung aller Zeiten“ (der „Spiegel“) macht dem Spießbürger Sorge: das Gammlertum. Zum Glück gibt es Leute wie Freddy Quinn, die dagegenhalten: „Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen“, singt er in seinem Schlager „Wir“. Es ist „1966 - Das Jahr, in dem die Welt ihr Bewusstsein erweiterte“, so der Titel eines neuen Buches.

Frank Schäfer, Schriftsteller, Literatur- und Musikkritiker, gibt auf 200 Seiten einen guten Überblick über jene Monate, die den Nährboden für 1968, das Jahr des Aufbruchs und der Proteste, bereiteten. Auch wenn es Quinn und konservative Parteien nicht wahrhaben wollten: das Grau der Nachkriegszeit ging langsam, aber sicher in bunte Paisleymuster über. Die Rolling Stones führten in den ersten beiden Jänner-Wochen die deutschen Charts an, ehe Drafi Deutscher für die nächsten 14 Tage die Spitzenposition übernahm. Rock gegen Schunkeln: auch so lässt sich 1966 knappest zusammenfassen.

In Amerika zelebrieren Ken Kesey und seine Merry Pranksters - im Glauben, LSD würde die Menschheit zum Besseren verändern - den großen Acid-Test, The Warlocks, später Grateful Dead, liefern den Soundtrack zum Freak Out. In Bayern gastieren die Stones und rufen die Obrigkeit auf den Plan. Eigentlich sind Konzerte im Freistaat ja steuerfrei, aber: „Durch zahlreiche elektrische Tongeräte wird die Musik in einem Maße verstärkt, das sie des Charakters der Musik im üblichen Sinne weitgehend entkleidet und schier als Lärm erscheinen lässt“, befindet der Regierungsdirektor. Und für Lärm sind Abgaben zu entrichten.

In seinem Buch hat Schäfer zahlreiche solcher heute skurril anmutender Machtkämpfe der Generationen dokumentiert. Er beschreibt für die Popmusik wichtige Meilensteine (Dylan wird elektrisch, The Who komponieren die erste Mini-Rockoper, Jimi Hendrix taucht auf), beleuchtet jedoch auch den gesellschaftlichen und politischen Wandel anhand von ausgewählten Beispielen - kompensiert, aber repräsentativ. Dabei führt der Autor aus deutscher Sicht durch 1966. Österreich spielt wenigstens eine Rolle, dank Peter Handke, der die deutsche Literaturelite herausfordert.

Schäfer trifft bei seinem Streifzug durch die zwölf Monate jenes Jahres (pro Monat ein Kapitel) auf Mao, die Raumpatrouille Orion, Star Trek, Mohammed Ali, die Hells Angels, Black Panther und Charles Bukowski. Drogen-Papst Timothy Leary sagt: „Eine Generation schöpferischer Jugendlicher lehnt es ab, im Gleichschritt zu marschieren, weigert sich, ins Büro zu gehen, Ratensparverträge zu unterzeichnen, sich in die Tretmühle zu begeben.“ Der frisch gewählte Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan, sieht das anders: „Sie kleiden sich wie Tarzan, haben Frisuren wie Jane und riechen wie Cheetah!“ 1966 sollte man, wenn nicht erlebt, so doch gelesen haben.

(S E R V I C E - Frank Schäfer, „1966 - Das Jahr, in dem die Welt ihr Bewusstsein erweiterte“, Residenz Verlag, Taschenbuch, 200 Seiten, 19,90 Euro)