Kapitalismuskritik: Bücher-Boom und „Kapitalismustribunal“
Wien (APA) - Der Kapitalismus kann sich warm anziehen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich manche Neuerscheinung ansieht: In „Kaputta...
Wien (APA) - Der Kapitalismus kann sich warm anziehen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich manche Neuerscheinung ansieht: In „Kaputtalismus“ fragt Robert Misik: „Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?“ In „Nach der Empörung“ erklärt Klaus Werner-Lobo: „Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht“. In Kürze wird in Wien gar ein „Kapitalismustribunal“ veranstaltet.
Die Finanzierung dieses Kapitalismustribunals, das vom 1. bis 12. Mai im brut Wien mit postdramatischen Methoden die Frage untersuchen will, „ob Kapitalismus ein Verbrechen ist“, funktioniert nicht nach antikapitalistischen Prinzipien: Am Sonntag (20. März) werden dafür das Bild „Das Kapitalismustribunal“ von Daniel Richter sowie weitere Kunstwerke in einer von Dirk Stermann eingeleiteten Benefiz-Auktion im brut Wien versteigert.
Für das Kapitalismustribunal arbeiten mehrere Institutionen zusammen, die seit Mai 2015 Fälle sammeln. Diese sollen in einem öffentlichen Verfahren unter Mitwirkung internationaler Experten wie der New Yorker Ökonomin und Soziologin Saskia Sassen, dem liberalen Systemtheoretiker Louis Klein oder dem Executive Director des Club of Rome, Alexander Stefes, verhandelt werden. „Ziel ist es, das Versagen der alten Ordnung aufzuarbeiten und zu ermitteln, was in einer zukünftigen Ökonomie nie mehr geschehen darf. Jeder lebende Mensch ist anklageberechtigt“, heißt es. Derzeit seien 223 Fälle eingegangen, die im brut Wien in sieben Themenfelder gegliedert werden.
„Das Tribunal geht von der Tatsache aus, dass immer mehr Menschen zunehmende Unfreiheit und Ungleichheit beobachten. Gleichzeitig zeigt sich ihnen das ökologische Desaster. Geltendes Recht und Rechtsempfinden klaffen auseinander“, so die Ankündigung. Die „Urteilsfindung“ soll im November im Werk X über die Bühne gehen. Schon am 1. Mai wird beim Auftakt im brut Wien ein von Anselm Lenz, Alix Faßmann und Hendrik Sodenkamp herausgegebenes Buch mit den theoretischen Grundlagen präsentiert. „Das Kapitalismustribunal“ erscheint im Passagen-Verlag.
Bereits erschienen ist die Abrechnung des Publizisten Robert Misik mit dem real existierenden Kapitalismus. Der Syriza-Sympathisant beschäftigt sich darin auch ausführlich mit der Krise Griechenlands. Der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis nennt Misiks Buch den „Warnruf eines der innovativsten europäischen Intellektuellen“: „Die Botschaft: Wir müssen den europäischen Kapitalismus schnellstens stabilisieren, bevor er den nächsten Zusammenbruch heraufbeschwört, der katastrophale Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt hätte.“ Mit Prognosen ist Misik vorsichtig: „Natürlich ist nicht sicher, dass der Kapitalismus den Geist aufgibt. Aber wir sollten uns angesichts der Indizien, die kaum mehr zu übersehen sind, mit der Vorstellung vertraut machen, dass eben dies sehr gut möglich ist.“
So wie Misik am Ende seines Buches Beispiele einer neuen „Solidarökonomie“ schildert, die miteinander „ein Art Netzwerk, den Nukleus eines Sozialismus neuer Art“ bildeten, so listet auch der Ex-Politiker Klaus Werner-Lobo in seinem neuen Buch über Politikverdrossenheit und Demokratiekrise Beispiele erfolgreicher Initiativen auf, die zeigen, „dass wir sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene die Möglichkeit haben, Missstände zu thematisieren, politische Veränderungen herbeizuführen - und manchmal sogar Geschichte zu schreiben“. „Nach der Empörung“ (eine Anspielung auf Stephane Hessels „Empört Euch!“) wird morgen, Donnerstag, in Wien präsentiert.
„Hast du schon gehört, das ist das Ende - Das Ende vom Kapitalismus - Jetzt isser endlich vorbei“, singt PeterLicht (sic!) in seinem „Lied vom Ende des Kapitalismus“. Wer darauf vorbereitet sein will, wird wohl zu dem Buch „Postkapitalismus“ von Paul Mason greifen, dessen deutsche Übersetzung am 11. April bei Suhrkamp erscheint. Der britische Journalist entwirft darin „Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ und verknüpft laut Ankündigung „das Abstrakte mit dem Konkreten, bündelt die Überlegungen von Autoren wie Thomas Piketty, David Graeber, Jeremy Rifkin und Antonio Negri und zeigt, wie wir aus den Trümmern des Neoliberalismus eine gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft errichten können“.
(S E R V I C E - Matinee & Auktion: „Bilder des Kapitalismus“, Sonntag, 20. März, 11 Uhr, brut Wien; „Das Kapitalismustribunal“, 1. bis 12. Mai, brut Wien, http://brut-wien.at; www.kapitalismustribunal.org; Robert Misik: „Kaputtalismus. Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?“, Aufbau Verlag, 224 S., ISBN 978-3-351-03635-5, 17,40 Euro; Klaus Werner-Lobo: „Nach der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht“, Deuticke Verlag, 208 S., 19,50 Euro, ISBN 978-3-552-06313-6; Buchpräsentationen: Donnerstag, 17. März, 19.30 Uhr, Buchhandlung Kuppitsch, Wien 1, Schottengasse 4, 30. März, Kreisky Forum, Wien 19, Armbrustergasse 15. Paul Mason: „Postkapitalismus - Grundrisse einer kommenden Ökonomie“, Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Suhrkamp Verlag, 27,70 Euro, 430 S., ISBN: 978-3-518-42539-8)