Film und TV

Ein Leben in der Warteschleife

Europa in Sichtweite und doch unerreichbar. Der bemerkenswerte Film „Fremd“ begleitet zwei junge Afrikaner auf ihrer Odyssee.
© Fassbender

Der Dokumentarfilm „Fremd“, der heute in Innsbruck gezeigt wird, gibt Wirtschaftsflüchtlingen ein Gesicht.

Innsbruck –Was heute mitten in Europa geschieht, passiert seit geraumer Zeit vor den Toren Europas. Menschen stranden an den Grenzen, sind zum Warten und Nichtstun verdammt, ihrer Rechte beraubt, einer zumeist korrupten und brutalen Willkür ausgeliefert. Die Geschichten der beiden Migranten Mohamed und Jerry, die die Dokumentarfilmerin Miriam Fassbender für ihren Film „Fremd“ begleitete, stehen für Millionen Schicksale – und es sind bei Weitem nicht die tragischsten. Im Gegensatz zu manch einem ihrer Freunde sind die beiden jungen Männer nicht im Meer ertrunken, sind nicht beim Versuch, über den Zaun der spanischen Enklave Melilla zu klettern, gestorben. Getroffen von den Kugeln der Polizei oder den Gummigeschossen der Agentur Frontex, die Europas Grenzen sichern soll. Es ist wohl auch dieser Zaun, der die Fantasie der Menschen beflügelt. „Ich denke, die zunehmende Militarisierung und die Exterritorialsierung unserer Außengrenzen lässt junge Leute glauben, dass es hier tatsächlich abzuschotten gilt“, sagt Fassbender.

Ihre Helden hat sie über einen Zeitraum von drei Jahren begleitet. Jerry, den wortgewandten Musiker aus Kamerun, und den freundlichen, naiven Mohamed, der lieber in seiner Heimat Mali geblieben wäre. Als ältester Sohn wurde er von seiner verwitweten Mutter losgeschickt, für seine Reise nach Europa hat sie den Familienbesitz verkauft, ein paar Rinder, die 1500 Euro eingebracht haben. Nicht genug Geld für die Überfahrt, aber genug, um sich auf den Weg zu machen. In Europa angekommen wird Mohamed abgeschoben, auch der zweite Versuch scheitert, Jahre vergehen mit Warten und Bangen, dem Versuch, die Menschenwürde zu bewahren. „Werde ich im Meer ertrinken, werde ich abgeschoben?“ – die immer gleichen Gedanken kreisen durch Mohameds Kopf. Zufrieden ist er zwischendurch als (ausgebeuteter) Saisonarbeiter in Algerien, weil er etwas über die Landwirtschaft lernen kann. Ein Aspekt, der die Filmemacherin faszinierte: „Man emigriert, um reich an Erfahrungen zurückzukehren.“ Natürlich würden diese Menschen in ihren Herkunftsländern fehlen: „Es sind schlaue Leute, die die Regierungschefs korrupter Staaten lieber außer Landes wissen, bevor sie zu demonstrieren beginnen.“ Bevor diese so genannten Wirtschaftsflüchtlinge ihre Heimat verlassen, würden sie alle möglichen Alternativen versuchen. „Es sind Menschen, die eine Vergangenheit haben, Menschen, die eine Bereicherung darstellen können“, ist die Filmemacherin überzeugt. Bildungs- oder Arbeitsvisa, von den Botschaften vor Ort ausgestellt, könnten die Situation entspannen, „dann würde es auch eine ganz andere Rück­information geben“.

Der Film „Fremd“ wird heute um 19 Uhr in Anwesenheit der Regisseurin in der SOS-Kinderdorf-Hermann-Gmeiner-Akademie in Innsbruck gezeigt, anschließend Diskussion mit Experten. (sire)