Literatur

Streifzüge durch soziale Kältezonen

Roland Schimmelpfennig, Jahrgang 1967, ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker an deutschen Bühnen.
© Steinweg

„Short Cuts“ in und um Berlin: Roland Schimmelpfennigs erster Roman „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“.

Innsbruck –Roland Schimmelpfennig ist der meistgespielte deutschsprachige Gegenwartsdramatiker. In vierzig Sprachen wurden seine Stücke, „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ zum Beispiel oder „Vor langer Zeit im Mai“, übersetzt. Mit „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ hat der vielfach ausgezeichnete Theatermann – für „Besuch bei dem Vater“ etwa erhielt er den 2009 den Nestroy für das Beste Stück des Jahres, die Burgtheater-Inszenierung von „Der Goldene Drache“ wurde 2010 mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis gewürdigt – seinen ersten Roman vorgelegt. Wobei, um einen Roman im herkömmlichen Sinne handelt es sich nicht. Es sind vielmehr kleine, mitunter nur lose verbundene Episoden, die Schimmelpfennig mit viel Gespür für visuelle Anschaulichkeit inszeniert. Überhaupt erinnert der Text wohl nicht von ungefähr ans Kino, liest sich stellenweise so, als hätten sich die Coen-Brüder in ihrer „Fargo“-Phase an einem Robert Altmann-Film versucht: „Short Cuts“ im brandenburgischen Niemandsland um und letztlich in Berlin. Von der Provinz aus macht sich ein junges Pärchen, eigentlich noch Kinder, auf den Weg in die Hauptstadt. Was sie dort wollen, bleibt vage: Ein Freund des Buben ist schon dort. Die Polizei nimmt den Ausbruchsversuch gelassen. Die Eltern machen sich auf die Suche. Überhaupt wird viel gesucht in Schimmelpfennigs Roman. Was genau allerdings scheinen die Figuren selbst nicht immer zu wissen. Wie der Wolf, der am titelgebenden Januarmorgen die polnisch-deutsche Grenze überschreitet – und gewissermaßen als roter Faden durch den Text schleicht –, sind es ziellose Herumstreuner, die Schimmelpfennig in knapper, nüchterner, beinahe unterkühlter Sprache beschreibt: Volontäre, Trinker, Nachtschwärmer. Irgendwann verfällt ein Kioskbesitzer vollends dem Wahn – und greift zur Waffe. Warum genau, muss nicht gesagt werden, man versteht es auch ohne viel Worte: Soziale Kälte ist tödlich. (jole)

Roman Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. S. Fischer, 250 Seiten, 20.60 Euro.