Erdogan attackiert prokurdische Abgeordnete und Intellektuelle
Ankara (APA/AFP/dpa) - Drei Tage nach dem der Selbstmordanschlag in Ankara wächst der Druck auf prokurdische Vertreter in der Türkei: Präsid...
Ankara (APA/AFP/dpa) - Drei Tage nach dem der Selbstmordanschlag in Ankara wächst der Druck auf prokurdische Vertreter in der Türkei: Präsident Recep Tayyip Erdogan rief das Parlament am Mittwoch auf, die Immunität prokurdischer Abgeordneter „rasch“ aufzuheben. Er warf ihnen vor, „zu Terrorismus“ anzustacheln. In Istanbul wurden mehrere Anwälte und Dozenten festgenommen.
Die türkische Regierung macht eine kurdische Kämpferin für das Attentat mit 36 Toten verantwortlich.
Ein Parlamentsausschuss prüft derzeit die Aufhebung der Immunität von fünf Politikern der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), unter ihnen die beiden Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Ihnen wird „Propaganda“ für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen.
„Ich betrachte die Mitglieder einer Partei, die als Ableger einer terroristischen Organisation fungieren, nicht länger als legitime politische Akteure“, sagte Erdogan. Sollte den Abgeordneten die Immunität entzogen werden, könnte ihnen wegen ihrer Forderung nach Autonomie für die türkischen Kurdengebiete der Prozess gemacht werden.
Erdogan bekräftigte außerdem seinen Ruf nach einer breiteren Definition „terroristischer Verbrechen“, damit Politiker, Intellektuelle und Journalisten strafrechtlich belangt werden können. Terroristen seien „nicht nur diejenigen mit einer Waffe in der Hand“, sondern auch Journalisten, die ihre Anliegen unterstützten, sagte Erdogan.
Bei dem Anschlag in Ankara waren am Sonntag 36 Menschen getötet worden. Als Täterin identifizierten die türkischen Behörden eine kurdische Kämpferin, die der PKK angehört haben soll. Wenige Stunden nach dem Anschlag bombardierten türkische Kampfflugzeuge PKK-Stellungen im Nordirak.
Auch die Polizei ging erneut gegen prokurdische Vertreter vor. Am Mittwoch wurden acht Mitglieder eines Anwaltsverbands in Gewahrsam genommen, der beim türkischen Verfassungsgericht gegen die Militäroffensive gegen die PKK in Anatolien geklagt hatte. „Acht unserer Kollegen sind heute Morgen ohne jegliche Begründung von der Polizei festgenommen worden“, teilte der Anwaltsverband OHO im Kurzmitteilungsdienst Twitter mit.
Am Vorabend hatte ein Gericht in Istanbul die Festnahme dreier Akademiker wegen „terroristischer Propaganda“ angeordnet. Die Universitätsprofessoren Esra Munger und Muzaffer Kaya sowie die Lehrkraft Kivanc Ersoy hatten im Jänner eine Petition gegen Armee-Gewalt in den Kurdengebieten unterzeichnet.
Ein britischer Professor sei nach einem Verhör am Mittwoch wieder auf freien Fuß gesetzt worden, meldete die Nachrichtenagentur Dogan. Er soll Flugblätter mit einem Aufruf zu Feiern zum kurdischen Neujahr am 21. März verteilt haben.
Bei einer Verurteilung wegen „terroristischer Propaganda“ drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verurteilte die Festnahmen als Teil einer „boshafte Kampagne“ Erdogans, die darauf abziele, seine Kritiker „mundtot“ zu machen.
Im Jänner hatten insgesamt rund 1200 Wissenschafter eine Petition unterzeichnet, in der ein Ende des türkischen Militäreinsatzes in den Kurdengebieten gefordert wurde. Nach Angaben einer Lehrergewerkschaft wurden deshalb bisher 153 Verfahren gegen Unterzeichner eingeleitet, neun Lehrer seien entlassen worden, weitere 27 suspendiert.
Ankara hatte Ende vergangenen Jahres im Südosten der Türkei eine Großoffensive gegen Unterstützer der PKK gestartet. Besonders in den Städten Cizre, Silopi und Diyarbakir gab es heftige Straßenkämpfe mit vielen zivilen Opfern.
Staatspräsident Erdogan erklärte unterdessen, er wolle demokratische Werte dem Kampf gegen den Terrorismus unterordnen. Mit Blick auf Forderungen nach „Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ in der Türkei sagte Erdogan am Mittwoch in Ankara: „Ich sage es offen: Für uns haben diese Begriffe absolut keinen Wert mehr. Der, der im Kampf gegen den Terror auf unserer Seite steht, ist unser Freund. Der, der auf der anderen Seite steht, ist unser Feind.“