EU-Gipfel will Ende der illegalen Migration vereinbaren

Brüssel (APA/dpa/Reuters) - Nicht weniger als ein komplettes Ende der illegalen Migration in die EU: Dieses Ziel setzt sich EU-Ratspräsident...

Brüssel (APA/dpa/Reuters) - Nicht weniger als ein komplettes Ende der illegalen Migration in die EU: Dieses Ziel setzt sich EU-Ratspräsident Donald Tusk für den EU-Gipfel am Donnerstag. „Die EU und die Türkei haben heute entschieden, die irreguläre Migration von der Türkei in die EU zu beenden“, hieß es in einem am Mittwochabend bekannt gewordenen Entwurf für die Gipfelerklärung. Indes nahm die Kritik am EU-Türkei-Deal zu.

Das Papier sieht vor, dass sich die EU bereit erklärt, bis Ende 2018 über zusätzliche Finanzhilfen von bis zu drei Milliarden Euro zu entscheiden. Das Geld soll demnach dann fließen, wenn die bereits im vergangenen November zugesagten drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei verbraucht sind. Eine feste Zusage für die Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen wird in dem Entwurf hingegen nicht gegeben.

Tusk leitete das Papier am Mittwoch laut Diplomaten den 28 Mitgliedstaaten zu. Bei einer Pressekonferenz am Abend sagte er zum am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel: „Es bleibt noch viel Arbeit zu tun.“ In seinem Einladungsschreiben an die 28 Staats- und Regierungschefs strich er unter anderem den Zypern-Konflikt hervor. Nur wenn die Gespräche zur Beilegung des Konflikts vorankommen, „können wir vorwärtskommen“, betonte er. Tatsächlich stemmt sich laut EU-Ratskreisen Zypern gegen die von Ankara geforderte Eröffnung von fünf weiteren Kapiteln in den EU-Beitrittsgesprächen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stand wegen der Zugeständnisse gegenüber der Türkei auch innenpolitisch unter Druck. Während die linksgerichtete Opposition vor einem „schmutzigen Deal“ mit Ankara warnte, lehnte CSU-Chef Horst Seehofer die geplante Visaliberalisierung strikt ab. Merkel und Seehofer berieten am Mittwochabend im Berliner Kanzleramt über den Konflikt, eine Annäherung wurde nicht erwartet.

In Spanien zeichnete sich ein Veto gegen den Deal mit der Türkei ab. Nachdem sich alle Parlamentsparteien auf ein Nein zum Abkommen festgelegt hatten, demonstrierten am Abend etwa 5.000 Menschen in der Madrider Innenstadt. „Die Flüchtlinge fliehen vor Terror und Krieg und können hier nicht auf eine Mauer der Gleichgültigkeit, eine Mauer der europäischen Ablehnung stoßen“, klagte diese Woche Sozialisten-Chef Pedro Sanchez, der derzeit die Bildung einer linken Regierung versucht. Der geschäftsführende konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy werde beim EU-Gipfel die Ablehnung Madrids deutlich machen.

Kritiker stoßen sich vor allem an der geplanten automatischen Zurückweisung von illegalen Migranten in die Türkei, die selbst für massive Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird. Amnesty International sprach am Mittwoch von einem „menschenverachtenden Tauschgeschäft“. „Bei dem Abkommen handelt es sich um den zynischen Versuch der Politik, die weitere Abschottung der EU als humanitäres Vorgehen zu verkaufen“, sagte die Generalsekretärin des deutschen AI-Verbandes, Selmin Caliskan. Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer bezeichnete den Deal als „kurzsichtig, zynisch und moralisch verwerflich“. In der „Kleinen Zeitung“ (Mittwochausgabe) warnte er mit Blick auf den Kurden-Konflikt, das Abkommen mit Ankara „kommt einer Einladung zur nächsten Flüchtlingswelle gleich“.

Dagegen versicherte die EU-Kommission, dass es „keine kollektiven Abschiebungen“ in die Türkei geben werde: „Jeder illegale Migrant wird ein individuelles Asylverfahren durchlaufen, das rund eine Woche dauern soll, wobei er immer ein Recht auf Berufung haben muss. Erst danach kann er in die Türkei zurückgeschickt werden“, betonte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im „Handelsblatt“ (Donnerstagausgabe).

Auch die österreichische Regierungsspitze versprach am Mittwoch bei einer Erklärung im Nationalrat, im Falle eines Paktes der Union mit der Türkei die eigenen Werte nicht über Bord zu werfen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sich Europa ausliefere, betonte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Es gebe keinen inhaltlichen Abtausch zwischen den europäischen Grundwerten und dem EU-Beitrittsprozess bzw. der Visaliberalisierung, versicherte auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Eine Vereinbarung mit der Türkei sei aber nötig.

Unterdessen ebbte die Flüchtlingsbewegung aus der Türkei ab. Am gestrigen Dienstag kamen 111 Migranten in Griechenland an, teilte die EU-Grenzschutzbehörde Frontex am Mittwoch mit. In den sieben Tagen von 9. bis 15. März wurden 8.104 gezählt. Ende Februar waren es in einer Woche noch 15.401 gewesen, und im Jänner lag die Zahl noch deutlich höher. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk veröffentlichte ebenfalls aktualisierte Daten, wonach seit Anfang 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge in Griechenland angekommen seien. Demnach erreichten im vergangenen Jahr 856.723 Flüchtlinge die griechischen Inseln, vor allem von der Türkei aus. Seit Anfang 2016 kamen bis zum 15. März weitere 143.634 Menschen auf der Flucht zunächst nach Griechenland.