ICTY verkündet sein wichtigstes Urteil gegen einen Ex-Politiker
Den Haag/Sarajevo (APA) - Das am 24. März erwartete Urteil für den ehemaligen Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wird für ...
Den Haag/Sarajevo (APA) - Das am 24. März erwartete Urteil für den ehemaligen Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wird für das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) von historischer Bedeutung sein. Der 70-jährige Karadzic ist der hochrangigste Politiker der Balkankriege (1991-95), dessen Prozess nun mit einem Urteil endet. Ankläger forderten lebenslang.
Das Verfahren gegen den bekanntesten Angeklagten, den ehemaligen serbischen Staatschef Slobodan Milosevic, der sich wie Karadzic auch wegen des Völkermordes in Srebrenica, des schwersten Kriegsverbrechens in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, zu verteidigen hatte, wurde nach seinem Tod kurz vor dem Prozessabschluss im Frühjahr 2006 eingestellt.
Im Prozess gegen Karadzic geht es nicht nur um Srebrenica, wo im Juli 1995 rund 8.000 bosniakische (muslimische) Männer und Buben von bosnisch-serbischen Truppen brutal ermordet und in zahlreichen Gräbern in der Umgebung der ostbosnischen Kleinstadt begraben wurden, sondern zum ersten Mal auch um den Völkermord in sieben anderen bosnischen Gemeinden - Kljuc, Sanski Most, Prijedor, Vlasenica, Foca, Zvornik und Bratunac.
Karadzic wurde im Jahr 1995 wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Der ehemalige bosnisch-serbische Präsident war nach Kriegsende untergetaucht. Im August 2008 wurde er in einem städtischen Bus in Belgrad festgenommen. In der serbischen Hauptstadt war er unter dem Namen Dragan Dabic als Heilpraktiker tätig, verfasste Artikel und hielt sogar Vorträge. Nach der Festnahme versuchte er zuerst seine Freilassung unter Berufung auf die Straffreiheit zu bewirken, die ihm im Jahr 1996 angeblich vom damaligen US-Sonderbeauftragten für den Balkan, Richard Holbrooke, zugesichert worden war, sollte er sich aus der Politik zurückziehen. Holbrooke bestritt diese Behauptungen.
Karadzic hatte laut der Elf-Punkte-Anklage alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen an Straftaten teilgenommen, die zum Ziel gehabt hatten, die Kontrolle über jene Regionen Bosnien-Herzegowinas zu sichern, die zum Bestandteil der Republika Srpska erklärt wurden. Um diesen Plan umzusetzen waren von der Führung der bosnischen Serben Verfahrensweisen umgesetzt worden, die die Schaffung unmöglicher Lebensbedingungen, Vertreibungen und Terror beinhalteten. Dies hatte auch die Zwangsumsiedlungen und die Tötung jener vorgesehen, die nicht freiwillig gehen wollten, stand in der Anklage.
Karadzic wurde aufgrund seiner individuellen Verantwortung wie auch aufgrund seines damaligen Amtes des Völkermordes, der Komplizenschaft am Völkermord, Ausrottung, Morden, absichtlicher Tötungen, Vertreibungen, Deportationen, unmenschlicher Taten sowie Geiselnahmen beschuldigt.
In der Anklage war von Morden an Tausenden bosnischen Muslimen und Kroaten, Zwangsumsiedlungen von Tausenden Menschen, dem Massaker an den Einwohnern Srebrenicas, rücksichtlosem Beschuss von Städten, -darunter Sarajevo - unmenschlicher Behandlung und Folterung von Muslimen und Kroaten und sonstigen Nicht-Serben die Rede. Auch die Geiselnahme von UNO-Personal im Mai und Juni 1995 fand ihren Platz in der Anklage. Allein im 44-monatiger Beschuss der bosnischen Hauptstadt wurden etwa 10.000 Zivilisten, darunter rund 1.600 Kinder, getötet.
Die Ankläger des UNO-Kriegsverbrechertribunals, die in dem auf 800 Seiten verfassten Schlussplädoyer eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten forderten, stellten unter anderem fest, dass Karadzic, ein „Lügner“ und „Mafioso“, „die treibende Kraft“ hinter der „Politik der ethnischen Säuberung“ im Bosnien-Krieg gewesen sei.
Der Angeklagte, der sich mit Hilfe eines internationalen Rechtsberaterteams selbst verteidigte, plädierte auf Freispruch, räumte allerdings seine „moralische Verantwortung“ für die im „schrecklichen“ Krieg von serbischen Truppen begangenen Kriegsverbrechen ein. Es gebe aber „keinen einzigen Beweis“ dafür, dass er Verbrechen angeordnet habe, beharrte er bis zuletzt.
Insgesamt kamen im Bosnien-Krieg zwischen 1992 und 1995 etwa 100.000 Menschen ums Leben, mehr als zwei Millionen wurden vertrieben. Seit dem Ende des Bosnien-Krieges wurden mehr als 7.100 Leichen der Opfer des Massakers gefunden. Nach mehr als 1.000 Opfern, darunter auch zahlreichen ehemaligen Bewohnern Srebrenicas, wird weiter gesucht.
~ WEB http://www.icty.org/ ~ APA016 2016-03-17/05:00