Radovan Karadzic - Vom Seelenarzt zum mutmaßlichen Kriegsverbrecher
Sarajevo/Belgrad/Podgorica (APA) - Er habe keinen Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina gewollt, erklärte der einstige Präsident der bosnischen...
Sarajevo/Belgrad/Podgorica (APA) - Er habe keinen Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina gewollt, erklärte der einstige Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, vor dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY). Seine moralische Verantwortung räumte er ein, Kriegsverbrechen habe er aber keine angeordnet. Vieles, was zwischen 1992 und Ende 1995 vor sich ging, habe er gar nicht gewusst, so Karadzic.
„Ich habe alles getan, um den Krieg zu vermeiden, und während des Krieges auch alles getan, um das Leiden der Menschen nach Möglichkeit zu lindern“, versuchte der Angeklagte, sich ins rechte Licht zu rücken. Als Verteidiger in eigenem Namen setzte er sich zum Abschluss des Prozesses im Oktober 2014 auch für seinen Freispruch ein.
Zuvor, nach der Festnahme im Jahre 2008, war der einst passionierte Pokerspieler intensiv bemüht, alles zu tun, um den Prozess zu vermeiden. Ihm sei die Straffreiheit vom früheren US-Sonderbeauftragten auf dem Balkan, Richard Holbrooke, zugesichert worden, sollte er sich aus der Politik zurückziehen, was er auch getan habe, behauptete der in sogar zwei Anklagepunkten des Völkermordes beschuldigte Politiker.
Im Laufe des Prozesses verpasste er keine Gelegenheit, um sich über die Zustände im Tribunalsgefängnis Scheveningen zu beklagen. Zahlreiche Angeklagte seien an Krebs erkrankt, die Nahrung habe einen komischen Geschmack für Menschen vom Balkan, das und vieles mehr kritisierte Karadzic.
Nach dem Bosnien-Krieg (1992-95) war Karadzic für Jahre untergetaucht. Manche seiner Landsleute hielten ihn für tot. Im August 2008 wurde er in Belgrad festgenommen, wo er als Heilpraktiker Dragan Dabic tätig war. Die Öffentlichkeit erfuhr nie, wer genau dem Mann mit einem weißen Vollbart und Brille sowie dem zum Zopf hoch am Kopf gebundenen Haar eine falsche Identität gesichert hatte.
Der im Juni 1945 in einem Dorf nahe der montenegrinischen Gemeinde Savnik geborene Karadzic studierte in Sarajevo Medizin. Sein Vater Vuk soll Mitglied der nationalistischen, königstreuen serbischen Tschetniks gewesen sein, der Sohn war in der Jugend allerdings ein treuer Anhänger des damaligen kommunistischen jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito, dem er in den 70er-Jahren auch eines seiner Gedichte widmete.
Nach Abschluss des Medizinstudiums arbeitete Karadzic zunächst als Psychiater in einem städtischen Krankenhaus in Sarajevo, bevor er 1983 eine Zeit lang auch die Mannschaft des Fußballklubs Roter Stern Belgrad psychologisch betreute. Seine Familie - Ehefrau Ljiljana Zelen und die Kinder Sonja und Aleksandar - blieb allerdings in der bosnischen Hauptstadt.
Der Aufenthalt Karadzics in Belgrad war mit Vorwürfen wegen Geldmachenschaften in Sarajevo verbunden. Er wurde im November 1984 festgenommen, allerdings aus Mangel an Beweisen elf Monate später wieder freigelassen. Im September 1985 wurde er in Sarajevo zu drei Jahren Haft verurteilt. Ins Gefängnis kam er jedoch nicht. Mitangeklagt war damals ein anderer späterer Haager Angeklagter, der künftige Präsident des bosnisch-serbischen Parlamentes, Momcilo Krajisnik, der seine Strafe wegen Kriegsverbrechen bereits abgebüßt hat.
Karadzic setzte seine ärztliche Tätigkeit bis 1987 in Belgrad fort und kehrte dann nach Sarajevo zurück. In die Politik ging der Mediziner Ende 1989, als er die nationalistische Serbische Demokratische Partei (SDS) gründete und im Juli 1990 ihren Vorsitz übernahm.
Nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im April 1992 organisierte Karadzic mithilfe des damaligen Belgrader Regimes von Slobodan Milosevic den Krieg bosnisch-serbischer Einheiten der von ihm wenige Monate zuvor gegründeten Republika Srpska (RS) gegen bosniakische (muslimische) Regierungstruppen. Er blieb bis Sommer 1996 an der Spitze der bosnisch-serbischen Republik.
Das UNO-Kriegsverbrechertribunal erhob im Juli 1995 gegen Karadzic und seinen Militärkommandanten Ratko Mladic eine erste Anklage. Ihnen wurden damals in 16 Anklagepunkten Völkermord in der bosniakischen Enklave Srebrenica, wo von Truppen der bosnischen Serben im Sommer 1995 etwa 8.000 muslimische Bewohner ermordet worden waren, und andere Verbrechen auf dem Gebiet unter der Kontrolle der bosnischen Serben angelastet. Wenige Monate später wurde die Anklage erweitert. Karadzic wurde gemeinsam mit Mladic in 20 Anklagepunkten des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Nach der Festnahme von Karadzic wurde die Anklage auf elf Punkte gestrafft, zwei betreffen den Völkermord.
Karadzic hatte am 30. Juni 1996 seine Befugnisse des bosnisch-serbischen Präsidenten auf seine damalige enge Mitarbeiterin Biljana Plavsic übertragen. Sie selbst wurde später vom UNO-Tribunal zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt. Kurz danach tauchte er unter. Eine Zeit lang wurde er in Russland vermutet. Immer wieder gab es Gerüchte, dass sich Karadzic in serbisch-orthodoxen Klöstern, vor allem in Montenegro, verstecke. Die serbische Kirche wies dies zurück.
In den Jahren vor seiner Festnahme widmete sich der Haager Angeklagte erneut auch seiner Jugendliebe: In Belgrad wurden mehrere seiner Romane, Gedichtsammlungen, aber auch ein Kinderbuch herausgegeben. In einem Neu-Belgrader Beisl griff er hie und da auch gerne zur Gusla.
Karadzic sei ein „Lügner“ und „Mafioso“, stellte der Haager Ankläger Alain Tieger zum Abschluss des Prozesses fest. Als „Pokerspieler“ wurde er während des Krieges von Slobodan Milosevic kritisiert. Seine Erfahrungen aus dem Kartenspiel schien der Angeklagte immer wieder auch im alltäglichen Leben einzusetzen, auch im ICTY-Prozess.
~ WEB http://www.icty.org/ ~ APA024 2016-03-17/05:02