Träume, Cafes und ein Cowboy: Patti Smiths Erinnerungen in „M Train“

Wien (APA) - Am Anfang steht meistens ein heißer, schwarzer Kaffee. Der ist für Patti Smith von zentraler Bedeutung, egal ob beim kurzfristi...

Wien (APA) - Am Anfang steht meistens ein heißer, schwarzer Kaffee. Der ist für Patti Smith von zentraler Bedeutung, egal ob beim kurzfristig getätigten Abstecher nach Japan oder in ihrer New Yorker Heimat. Immer wieder begegnet man in „M Train“, den nun auf Deutsch erschienen Erinnerungen der US-Künstlerin, dem koffeinhaltigen Getränk. Und außerdem ihrer Familie, ihren Träumen sowie ganz viel Literatur.

Denn im Unterschied zu den Memoiren „Just Kids“, in denen Smith 2010 den Fokus auf die Beziehung zum Künstlerkollegen Robert Mapplethorpe legte, hat die „Godmother of Punk“ sich diesmal einem assoziativ fließenden Erzählduktus hingegeben. „Mit Mantel und Mütze setze ich mich in meine Ecke. Es ist neun Uhr früh. Ich bin der erste Gast“, beginnt da ihr Besuch im Stammlokal Café ‚Ino zunächst betont harmlos, doch schon bald versammelt die Autorin Gedanken und Erinnerungen, prägende Begegnung und flüchtige Beobachtungen.

So begleiten wir sie auf ihrer Reise nach Saint-Laurent-du-Maroni in Französisch-Guayana mit Ehemann Fred, die abenteuerlicher wird als zunächst geplant; man wird Zeuge eines merkwürdigen Treffens mit Schachlegende Bobby Fischer in Island, zustande gekommen aufgrund einer Einladung des ominösen Continental Drift Clubs; oder erfährt Smiths Freude ob eines Besuchs in der Casa Azul, jenem mit so vielen Erwartungen verbundenen Eintauchen in das Zuhause von Frida Kahlo und Diego Rivera. Aber nicht nur wir als Leser, auch Smiths Kamera ist stets mit von der Partie, weshalb etliche Fotos den optisch reduzierten, schwarz-weiß gehaltenen Gegenpart zu ihren feingliedrigen Ausschmückungen liefern.

Es ist die ganz große Stärke von Patti Smith, trotz einer sprunghaften Erzählweise, die sich nichts um Chronologie und wenig um einfache Nachvollziehbarkeit schert, die Tür für Außenstehende nicht zu verschließen. Immer wieder greift sie einzelne Fäden auf, knüpft hie und da einen neuen Seitenstrang an und fesselt ob ihres leichtfüßigen Ausdrucks, selbst wenn man ihr in abgelegenste Gedankentäler folgt. Dieser „M Train“, er macht in vielen Ländern und Jahren Station, ist mehr frei fahrender Zug den streng an Schienen geheftetes Fortbewegungsmittel.

Wer braucht schon Konventionen, könnte man auch denken, wenn besonders die Vergesslichkeit von Smith auf Dauer zum Running Gag wird. Eine geschätzte Kamera am Strand, persönliche Utensilien im Flugzeug, vor allem aber der geliebte schwarze Mantel - von all dem müssen sich Smith und ihre lesenden Begleiter im Laufe der Zeit verabschieden. Sie scheint aber sicher: All das hat einen Grund, bringt sie voran oder dient als willkommener Anstoß zur Reflexion. Eine alte Notiz oder behutsam in Boxen aufbewahrte Erinnerungsstücke sind zudem Auslöser, um freudige wie schmerzhafte Episoden ihres privaten Lebens nochmals vor Augen geführt zu bekommen.

Aber nicht nur Handfestes (oder der Verlust von ebenjenem), sondern auch Träume und ein darin stets wiederkehrender philosophischer Cowboy haben wesentlichen Einfluss auf Smith. Außerdem wäre da noch ihre Vorliebe für Literatur, von Bulgakows „Meister und Margarita“ bis zu Murakamis „Mister Aufziehvogel“, das sie wie einen Schatz mit sich trägt, nur um das Buch - erraten - eines Tages zu verlieren. Und selten hat man einen so schönen und verzweifelten Abgesang auf das Ende einer Fernsehserie gelesen, wie im Kapitel „Wie Linden tötet, was sie liebt“.

Am Ende bleibt ein Gefühl des Näherkommens an diese große Frau, die so uneitel über ihre Eigenheiten und Spleens erzählt. Smith gilt ohnehin schon als eine der prägendsten Figuren ihrer Generation und bringt ihre Freude sowie Wertschätzung für etliche (pop-)kulturelle Ausprägungen nachvollziehbar und sympathisch zum Vorschein. Dass man mit einer solch offenen Einstellung dem Leben gegenüber wie ein Schwamm Gefühle, Schwingungen und Erlebnisse aufsaugen kann, verwundert nicht. Schon eher, dass man nicht irgendwann übersättigt ist. Von Smiths Worten in „M Train“ bekommt man jedenfalls nicht so schnell genug.

(S E R V I C E - Patti Smith: „M Train. Erinnerungen“, Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 20,60 Euro; www.pattismith.net)