Fall Gurlitt: Biografie zeichnet Weg von Vater und Sohn nach

Wien (APA) - Wie wurde Cornelius Gurlitt zu jenem zurückgezogenen Menschen, der jahrzehntelang auf einem Kunstschatz saß, der auch Nazi-Raub...

Wien (APA) - Wie wurde Cornelius Gurlitt zu jenem zurückgezogenen Menschen, der jahrzehntelang auf einem Kunstschatz saß, der auch Nazi-Raubkunst beinhaltete? Wie kam es dazu, dass sein Vater Hildebrand von einem Nazi-kritischen Kunstfreund mit jüdischer Großmutter zu einem der Haupteinkäufer für Adolf Hitlers „Führermuseum“ in Linz wurde? Annäherungen an Antworten bietet Catherine Hickleys „Gurlitts Schatz“.

In ihrem bereits im Vorjahr erschienenen und nun in deutscher Übersetzung im Czernin Verlag erschienenen Buch begibt sich die britische Journalistin zunächst ins Jahr 1912, als der damals 16-jährige Hildebrand Gurlitt (1895-1956) beim Besuch einer Ausstellung der Künstlergruppe „Die Brücke“ seine Liebe für zeitgenössische Kunst entdeckt. Seine Mutter kauft einen Holzschnitt, der in die Sammlung der kunstaffinen Familie aufgenommen wird. Hildebrands Vater ist Experte für Architektur, Kunstgeschichte und Denkmalpflege, seine Tante Fanny Lewald war eine Schriftstellerin, der Großvater ein bekannter Landschaftsmaler. Weitere Verwandte arbeiteten als Galeristen und Kunsthistoriker.

Eingebettet in Anekdoten aus dem familiären Umfeld rollt Hickley Hildebrand Gurlitts Lebensweg auf, der ihn nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg über das Studium der Kunstgeschichte zu seinem Beruf als Kunsthändler führt. Und ausgerechnet sein Expertentum für die von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ bezeichneten Werke führt zu einem Paradoxon: Zunächst verliert er seine Stelle als Direktor des Hamburger Kunstvereins, im Anschluss wird er damit beauftragt, beschlagnahmte „entartete Kunst“ für Hitlers Staatskassen ins Ausland zu verkaufen.

Über diese Phase schreibt Hickley: „Er kaufte Kunst von jenen, die von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verfolgt wurden, und profitierte immer mehr von der antisemitischen Politik des Dritten Reichs, gegen das er gleichzeitig Widerstand leistete. Doch allmählich stellte sich heraus, dass sein Geschäftssinn mehr Gewicht hatte als sein Ressentiment gegen die Nationalsozialisten und die Solidarität mit dem Leid derer, die mehr jüdische Großeltern hatten als er.“ Schlussendlich machte Gurlitt nicht nur ein Vermögen, sondern baute sich selbst eine stattliche Sammlung auf, die er später seinem Sohn Cornelius vererben sollte und die im Jahr 2012 als „Schwabinger Kunstfund“ Schlagzeilen machte. Dass Cornelius Gurlitt (1932-2014) es als Lebensinhalt betrachtete, das Lebenswerk des Vaters, der seine Sammlung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst vor den Bomben, dann vor den Russen und den Amerikanern „rettete“, zu beschützen, wird hier nachvollziehbar gemacht.

Jener Abschnitt des Buchs, der sich mit Cornelius Gurlitt beschäftigt, stützt sich hauptsächlich auf dessen einziges Interview mit dem „Spiegel“ sowie Interviews mit Menschen aus seinem Umfeld. Die andere Seite - jene der Beraubten - behandelt Hickley mithilfe der Schilderung von Betroffenen (wie etwa David Torens Versuch, Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“ zurückzubekommen) und einer Analyse von Kunstrückgabegesetzen und dem Umgang von Auktionshäusern mit Raubkunst. Der Autorin geht es nicht um Schuldzuweisungen, aber auch nicht um Verharmlosungen. Vielmehr liest sich „Gurlitts Schatz“ wie eine spannendende Doppel-Biografie eines Vaters und eines Sohns, die im Laufe ihres Lebens ihre Liebe zur Kunst über jene des Rechts gestellt haben.

Ebenfalls erschienen ist dieser Tage auch eine zweite Gurlitt-Biografie: Nicola Kuhn und Meike Hoffmann (Letztere war Mitglied der Gurlitt-Taskforce) haben ihre Biografie „Hitlers Kunsthändler“(erschienen bei C.H. Beck) veröffentlicht. Über die beiden Werke schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Was die Hintergründe der Beschlagnahme im Jahr 2012 angeht und den Zustand, in dem sich Cornelius Gurlitt befand, bietet Hickley ihren Lesern mehr Stoff. Kuhn und Hoffmann werden dagegen sehr schmallippig. Was sie schreiben, klingt, als sei es von den Behörden vorher abgesegnet worden. Die Verwandlung vom Taskforce-Mitglied zur angeblich unabhängigen Sachbuchautorin ist in den letzten beiden Kapiteln gründlich missglückt.“ Auch wenn keines der beiden Bücher neue Fälle von Raubkunst in der Sammlung Gurlitt - insgesamt konnten fünf Fälle nachgewiesen werden - aufdeckt, das Eintauchen in die Geschichten hinter der Geschichte lohnt in jedem Fall.

(S E R V I C E - Catherine Hickley: „Gurlitts Schatz. Hitlers Kunsthändler und sein geheimes Erbe“, aus dem Englischen von Karin Fleischanderl, Czernin Verlag, 334 S., 24,90 Euro. Meike Hoffmann und Nicola Kuhn: „Hitlers Kunsthändler. Hildebrand Gurlitt 1895-1956. Die Biographie“, Verlag C. H. Beck, 400 S., 25,70 Euro.)