Frühlingserwachen inmitten der Gefahr
„Die Kinder der Villa Emma“: Ein ORF/ARD-Fernsehfilm über die Odyssee jüdischer Kinder im Zweiten Weltkrieg.
Von Bernadette Lietzow
Wien –Minderjährige auf der Flucht vor Terror und Krieg, schutzlos auf Schlepper und andere selten wohlmeinende Erwachsene angewiesen, sind angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten tagtäglich traurige Realität. Der am kommenden Mittwoch in ORF 2 ausgestrahlte Film „Die Kinder der Villa Emma“ stellt junge Menschen in den Mittelpunkt, die ein solches Schicksal teilten und beleuchtet eine der vielen nahezu unbekannten Geschichten, die in großen Erzählung des Zweiten Weltkrieges auf den Platz von Fußnoten verwiesen werden.
Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende sind die Zeitzeugen rar geworden, weicht die kollektive Erinnerung an Grausamkeiten, Tod und Vertreibung einer zunehmend distanziert-historischen Betrachtung von etwas, dessen bis heute bestehende Wirkmächtigkeit in politischen wie familiären Handlungsweisen allzu gerne übersehen wird. Umso notwendiger ist es, nicht zuletzt für das Verständnis einer jüngeren Generation, Vergangenem ein Gesicht zu geben. Das „Gesicht“, die zentrale Person der „Villa Emma“, ist die 14-jährige Wienerin Betty Liebling, die sich im März 1941 mit einem Kindertransport der „Jugend-Alija“ auf den Weg nach Palästina begibt, um der nationalsozialistischen Vernichtung zu entkommen. Recha Freier, in Berlin lebende Lehrerin, Rabbinergattin und Zionistin, begann schon Ende der 1930er-Jahre, die illegale Einwanderung (hebräisch: Alija) jüdischer Jugendlicher in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina zu organisieren. Betty verlässt mit einem der letzten dieser Transporte ihren Vater, ihre Großmutter, ihre österreichische Heimat, um die gefährliche Reise mit unsicherem Ausgang anzutreten. Mit Schleppern gelingt die Flucht nach Zagreb, mit dem Einmarsch der deutschen Truppen flieht die Gruppe in das von Italien annektierte Slowenien, später weiter ins italienische Nonantola in der Nähe von Modena. Die „Villa Emma“ am Rand der Kleinstadt wird zum Hafen für die Kinder und ist bis heute Synonym für den Mut einer Bürgergemeinschaft. Die Bevölkerung von Nonantola begegnet den fremden jungen Menschen nicht nur freundlich und hilfsbereit, als nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten deutsche Truppen die Poebene einnehmen, verstecken der Priester Arrigo Beccari und der antifaschistische Arzt Guiseppe Moreali einen Teil der Kinder in der örtlichen Abteikirche, die übrigen finden in kürzester Zeit Unterschlupf bei Familien in Nonantola.
Seit 2004 erinnert in der renovierten Villa Emma eine Dauerausstellung an diesen furchtlosen Akt gelebter Solidarität. Agnes Pluch hat die historischen Fakten in ein spannendes Drehbuch verarbeitet, das den Fokus ganz auf das Erleben der Kinder legt: darauf, wie sie lernen, in Gemeinschaft zu leben, mit ihren Ängsten, der Einsamkeit, dem Erwachsenwerden und ersten Lieben zurechtzukommen. Regisseur Nikolaus Leytner setzt für die Rollen der Betreuer mit Nina Proll oder August Zirner auf starke Charaktere und zeichnet vor allem mit Ludwig Trepte als Josko Indig und Laurence Rupp als Marko Schoky ebenso wichtige wie unterschiedliche männliche Identifikationsfiguren. Eine berührend authentische Betty schließlich, innerhalb eines sehr gut gewählten Ensembles junger und jüngster Darsteller, ist die 1997 geborene Sophie Stockinger, die schon im Kinofilm „Talea“ auf sich aufmerksam machte. „Die Kinder der Villa Emma“ erzählt historisch exakt, vor gelegentlichen Ausflügen in weichgezeichnete Sentimentalität sind Filme, die auf diese finstere Zeit blicken, leider selten gefeit.