Flüchtlinge - Griechenland leidet unter enormer Doppelbelastung

Athen/Wien (APA) - Die vergangenen Jahre waren für Griechenland wahrlich kein Spaziergang. Seit sechs Jahren kämpft das Land mit einer schwe...

Athen/Wien (APA) - Die vergangenen Jahre waren für Griechenland wahrlich kein Spaziergang. Seit sechs Jahren kämpft das Land mit einer schweren Wirtschaftskrise, seit der Zunahme der Flüchtlingsbewegungen aus Syrien und dem Irak ist das Mittelmeerland als Eingangstor zur EU auch hier mehr als jeder andere Staat gefordert - und überfordert. Die Politik steht unter Druck. Und obwohl die Bevölkerung selbst unter den harten Sparauflagen leidet, ist die Solidarität mit den Flüchtlingen beeindruckend.

Seit Beginn des vorigen Jahres erreichte mehr als eine Million Flüchtlinge Griechenland. Diese Zahl alleine stellt für jeden Staat eine Herausforderung dar. Griechenland kämpft zusätzlich mit Einbußen von 25 Prozent seiner Wirtschaftsleistung während der vergangenen sechs Jahre. 2015 entging Griechenland nur knapp einer Rezession. Die Vorgaben der internationalen Geldgeber veranlassten die griechische Regierung zu einer Vielzahl von Reformen und Einsparungsprogrammen - an die nun auch entsprechende Kapazitäten des Staates gebunden sind, um diese Auflagen zu realisieren. Kapazitäten, die eigentlich auch an den Flüchtlingshotspots zur Registrierung, aber auch zur Versorgung der Asylbewerber gebraucht werden könnten.

Hauptleidtragende der Sparprogramme sind aber die Griechen selbst. Trotzdem ist die Hilfsbereitschaft und das Verständnis für die Zehntausenden Flüchtlinge, die sich derzeit in dem Mittelmeerland befinden, groß. Das liegt nach Ansicht von Susanna Vogt, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Athen daran, dass viele Griechen selbst einmal Migranten waren - Flüchtlinge, die zum Beispiel 1922 von der türkischen Küste kamen. Außerdem zeigen viele Griechen im persönlichen Gespräch großes Verständnis für die humanitäre Situation der Flüchtlinge. Man könne gut mitfühlen, weil man Notsituationen hierzulande ja oft am eigenen Leib erfahren musste, sagt eine Verkäuferin an einer Tankstelle in der Grenzregion zu Mazedonien, wo nach der Schließung der Balkanroute tausende Schutzsuchende gestrandet sind.

Tatsächlich war im Jahr 2013 mehr als ein Drittel der Bevölkerung armutsgefährdet. Noch alarmierender ist die Situation laut dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF für Kinder. Die Anzahl der armen oder sozial ausgegrenzten Kinder in Griechenland belief sich, ebenfalls 2013, auf fast 600.000, wobei sich mehr als die Hälfte davon im Zustand „ernsthafter materieller Entbehrungen“ befand.

Mit Blick auf die Doppelbelastung der Griechen beteiligt sich die Caritas, die Griechenland bei der Flüchtlingsbetreuung bereits mit insgesamt 200.0000 Euro unterstützt, auch an einem Hilfsprogramm des internationalen Caritas-Netzwerkes für die lokale Bevölkerung. Konkret erhalten 200 besonders „verletzliche“ Familien über einen Zeitraum von sechs Monaten Gutscheine im Wert von 50 Euro, die in Supermärkten eingelöst werden können. „Die Menschen leiden selbst wirtschaftlich sehr. Da kann es sehr schnell zu Neid und Unruhen kommen“, erklärt Sabine Wartha, Leiterin der Katastrophenhilfe der Caritas in Wien. Vorerst beschränkt sich das Programm auf den Großraum Athen und Thessaloniki - und eben auf ein halbes Jahr, Wartha rechnet aber mit einer Verlängerung.

Im Fokus stünden natürlich weiterhin die Flüchtlinge, aber „man muss den Gesamtblick im Auge behalten. Wir wollen mit der Hilfe soziale Spannungen vorbeugen“, so Wartha zur APA. Insgesamt stellte die Caritas während der Flüchtlingskrise bereits mehr als 710.000 Euro für Nothilfeaktivitäten in Idomeni, Athen, Thessaloniki, auf der Insel Lesbos sowie in Mazedonien, Serbien, Rumänien, Ungarn, Kroatien und Slowenien zur Versorgung der Menschen mit dem Nötigsten bereit.

Soziale Spannungen gab es bisher in Griechenland nur vereinzelt. Vor allem auf der Urlaubsinsel Kos demonstrierten Anrainer lange gegen die Errichtung eines Registrierzentrums (Hotspot) für Flüchtlinge. Sie fürchten Verluste für den Tourismus, wichtigste Einnahmequelle der meisten Insulaner. Auch in der Grenzregion mit Mazedonien protestierten Bewohner gegen das Flüchtlingslager Diavata. Sie haben ebenfalls Angst, dass die wirtschaftlich ohnehin schwache Gegend noch stärker abgewertet wird. Im provisorischen Flüchtlingscamp Idomeni, direkt an der griechisch-mazedonischen Grenze, sieht man trotzdem immer wieder freiwillige Helfer, die Essen, Kleidung, Spielzeug und andere Dinge des täglichen Bedarfs vorbeibringen. Auch die griechische Nichtregierungsorganisation (NGO) Praksis ist eine der großen Hilfsorganisationen, die die Hilfe in Idomeni koordinieren. Ihre Arbeit wird von den österreichischen Helfern vor Ort gelobt.

Siegt also die Solidarität der Griechen doch über ihre Ängste? „Aufgrund unserer Kultur und Geschichte waren wir immer offen für andere Kulturen, ich sehe da keine Veränderung in letzter Zeit. Eher im Gegenteil“, sagt Antonis Skamnakis, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Thessaloniki, mit Blick auf die zahlreichen Solidaritätsaktionen. Und dazu würden auch die Medien beitragen, in deren Berichterstattung er „keinerlei rassistische oder xenophobe Tendenzen“ erkennt, sagt der Experte im Gespräch mit der APA. Auch wenn Skamnakis nicht daran glaubt, dass Medien generell die Meinung der Bevölkerung widerspiegeln; in der Gesellschaft ortet er zumindest derzeit ebenso keinen aufkeimenden Rechtsruck.

„Jeden Tag kommen Hunderte an, wenn wir sie nicht retten, sterben sie. Wir müssen uns also entscheiden: Ihnen zuschauen, wenn sie untergehen oder sie retten“, meint Skamnakis trocken, ergänzt aber schnell, dass sich die Frage natürlich gar nicht stelle - alle Flüchtlinge müssten gerettet werden und dieser Meinung sei auch die griechische Bevölkerung. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Public Issue vom Oktober 2015 ist die Bevölkerung in der Flüchtlingsfrage allerdings gespalten. 46 Prozent gehen demnach davon aus, dass die Zuwanderung eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen könnte. Ebenfalls 46 Prozent glaubten das Gegenteil.

Auch KAS-Expertin Vogt betont, dass seit dem Regierungswechsel 2014 (linksliberale Syrzia, Anm.) eine Veränderung in der Flüchtlingspolitik zu bemerken sei. „Es gibt liberalere Ansätze und eine klare Abkehr von der von ‚Law und Order‘ geprägten Politik der Vorgängerregierung. Ganz konkret hat sich auch der Umgang mit den ankommenden Menschen geändert“, erklärt Vogt.

International wurde Griechenland jedoch gerade in den vergangenen Wochen immer wieder für sein Verhalten in der Flüchtlingskrise kritisiert. Vor allem wurde der Regierung in Athen, auch von österreichischen Politikern, unterstellt, die EU-Außengrenze zu wenig zu schützen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte wiederum die inkonsequente Flüchtlingspolitik der EU: „Es ist lächerlich, einerseits einen Umsiedlungsplan zu designen, der Griechenland entlasten soll und andererseits Anstrengungen anderer Mitgliedsländer zu sehen, die riskieren, dass sich das Land in eine massives Flüchtlingscamp verwandelt“, so HRW in Anspielung auf die Einführung von Tageskontingenten in Österreich und die auf Betreiben von Wien erfolgte Schließung der Balkanroute.

(INTERNET: Caritas-Spendenaufruf - https://www.caritas.at/spenden-helfen/fluechtlingshilfe/)