Ski: Punkterekord im „Seuchenjahr“ -Warum Hirscher der Chef sein muss
St. Moritz (APA) - Das Zusatzgepäck von Marcel Hirscher bei seiner Abreise aus St. Moritz hat sich um fünf Dreiliterflaschen argentinischen ...
St. Moritz (APA) - Das Zusatzgepäck von Marcel Hirscher bei seiner Abreise aus St. Moritz hat sich um fünf Dreiliterflaschen argentinischen Rotwein erhöht. Je eine pro Gesamtweltcup spendierte ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, als er den Salzburger im Teamhotel vor versammelter ÖSV-Mannschaft gratulierte. Hirscher steht lieber auf der Piste im Mittelpunkt, zweimal hat er diese Saison noch Gelegenheit dazu.
Als Gewinner der großen Kugel sowie des Riesentorlauf-Weltcups wird der 27-jährige Skirennläufer aus Annaberg am Wochenende beim Finale noch mehrfach ausgezeichnet. Schröcksnadel hatte sich vor Saisonbeginn auf die Statistik berufen und nicht mit einem erneuten Gesamtweltcupsieg des Superstars gerechnet. „Die Möglichkeit ist da, aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung darf man nicht zu viel erwarten“, hatte der Verbandschef gemeint - und sich getäuscht.
Hirscher hat in der zu Ende gehenden Saison einen persönlichen Punkterrekord aufgestellt. Obwohl es ein Jahr mit vielen Stolpersteinen war. „Formuliert es um, wenn es zu krass ist: wir haben schon teilweise von einem Seuchenjahr gesprochen, bei den Vorfällen, die passiert sind. Das ist es natürlich nicht. Aber teilweise hat man sich schon die Frage gestellt.....“
Eines der unliebsamen Ereignisse war das Abhandenkommen des Riesentorlauf-Skis in Alta Badia. „Ich bin froh, dass der Ski wieder aufgetaucht ist. Der hat mir - im Nachhinein gesehen - den Arsch gerettet. Zu dem Zeitpunkt habe ich geglaubt, ist eigentlich eh wurscht, weil wir eh so viele haben. Aber der hat sich dann immer mehr und mehr herauskristallisiert, dass er einfach notwendig war“, gab Hirscher zu.
Dann der Vorfall mit dem falsch eingesetzten Brillenglas beim Nightrace in Schladming. „Ich kenne das Gefühl eigentlich nicht, das ich da hatte, und will es auch nicht beschreiben. Ich bin am Boden gelegen, habe mich verkühlt, weil ich eine halbe Stunde im Schnee gelegen bin so ungefähr. So ein starkes negatives Gefühl habe ich davor überhaupt noch nie - Gott sei Dank - spüren müssen.“
Er habe geglaubt, dass alles vorbei sei. Was, wenn er jetzt den Gesamtweltcup auf diese Weise um zwei Punkte verliere? „Das war echt ein Punkt, wo ich menschlich sehr viel dazulernen habe dürfen. Vor allem auch, dass ich es in der ersten Emotion für mich behalten habe und das sehr gut rüberbringen habe können. Dass man Fehler auch machen kann.“ Hirscher gelang ein Kraftakt von Platz 22 auf zwei.
Schuldzuweisungen habe es von seiner Seite keine gegeben, aber er hat auch an seine Wachsamkeit appelliert: „Auch wenn ich nicht wirklich ihr Chef bin, aber ich muss der Chef im ganzen Radl sein, in dem mittlerweile sehr viele Mitarbeiter sind. Ich muss sie entsprechend briefen und dahinter sein und nicht einfach nur vertrauen. Vertrauen ist gut, aber manchmal ist Kontrolle halt einfach notwendig. Speziell, wenn es so heikel ist.“
Dass Hirscher so gut durch den Winter gekommen sei, in dem es viele hochkarätige verletzungsbedingte Ausfälle gab, schreibt er auch der Arbeit seines „unglaublich guten“ Teams zu. Die Physiotherapeuten Alexander Fröis und Gernot Schweizer seien immer zur Stelle. „Es wird immer noch massiert, Physiotherapie gemacht, wenn ich heimkomme. Gernot steht auch am Sonntag in der Nacht um zwei Uhr da, das ist einfach professionell. Alex macht auch einen super Job. Ich glaube, dass das sehr viel ausmacht.“
Auch versuche er, Wege und Reisestrapazen zu minimieren. „Das ist der Grund, warum wir nicht zum Training nach Südamerika gehen. Weil du das erste Mal, wenn du heimkommst, schon fertig bist. Es ist das Konträre zum norwegischen Modell, beides hat seine Berechtigung.“ Er merke, dass er fit und ausgerastet sein müsse und den Schlaf brauche. „Dann funktioniert das auch.“
Er stehe ihm nicht zu, zu sagen, das andere „falsch, weniger, mehr, besser, schlechter, wie auch immer aufgestellt“ seien. Er könne nur für sich sprechen. „Ich habe das große Glück, dass ich auf eine sehr untypische Art aufgewachsen bin. Eigentlich zähle ich zur Playstation-Generation. Als ich zehn Jahre war, hat es Nintendo gegeben, aber nicht für mich.“
Er schaue heute traurig auf den Kinderspielplatz, auf dem er den Großteil seiner Kindheit verbracht habe mit seinen Freunden. „Der ist ausgestorben, leer. Wir sind alle besser ausgebildet, was Tannenzapfenschlacht, Baumhausbauen, Schlammschlachten, Fußballspielen und Catchen am Spielplatz betrifft. Das gibt es ja alles heute nicht mehr. Das sind Auswirkungen, die Folgen haben.“
Die Frage, ob er unverwundbar sei, vermeinte Hirscher. „Ich habe mir den Fuß auseinandergebrochen, nur durch einen Schlag“, erinnerte er an Hinterstoder 2011. Wie entscheidend es sei, wie man aufwachse, das Gehen erlerne, erläuterte Hirscher an einem Beispiel. „Es gibt da ein Bandl (Bereich Oberschenkel/Kniebeuge/Anm.), das ist in unserer Generation doppelt so stark als teilweise bei einem 15-jährigen Athleten.“
Wie seine sportlichen Ziele für die kommende Saison ausschauen werden, weiß Hirscher noch nicht. Wie in Kranjska Gora bereits angekündigt, sei vieles möglich. „Ich will die Saison fertig fahren, das einmal sacken lassen, weil die Strapazen kommen erst nach der Saison raus. Und dann schauen, was ich mache.“
Den Riesentorlauf am Samstag und den Slalom am Sonntag in St. Moritz kann er befreit und ohne Punkterechnerei im Kopf bestreiten. „Wenn ich zweimal Fünfter oder zweimal Zehnter werde, wird es heißen, dass der Saisonabschluss nicht so besonders war. Fakt ist, ich möchte natürlich Vollgas geben, und ich werde Kleinigkeiten probieren hinsichtlich neuer Saison. Du kannst nirgendwo so gut testen wie im Rennen, wenn du keine Punkte brauchst. Das werde ich machen.“