EU-Türkei-Deal perfekt: Flüchtlinge werden ab Sonntag zurückgeschickt
Brüssel (APA) - Der umstrittene EU-Türkei-Flüchtlingsdeal ist perfekt. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten und der Türkei habe...
Brüssel (APA) - Der umstrittene EU-Türkei-Flüchtlingsdeal ist perfekt. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten und der Türkei haben am Freitagnachmittag in Brüssel vereinbart, dass ab Sonntag alle an der EU-Außengrenze aufgegriffenen Migranten in die Türkei zurückgeführt werden. Die Umsetzung des Deals werde eine „Herkulesaufgabe“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach dem Gipfel.
EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte mit Blick auf Kritik von Menschenrechtsorganisationen, dass es keine kollektiven Abschiebungen in die Türkei geben werde. Jeder Migrant werde einzeln behandelt, das Europa- und Völkerrecht werde eingehalten. Der türkische Premier Ahmet Davutoglu sprach von einem „historischen Tag“ in den EU-Türkei-Beziehungen. Das Abkommen sei eine „sehr faire Lösung“, auch für die Flüchtlinge. Es schrecke Menschenschmuggler ab und ermögliche die legale Migration.
Kernpunkt des Deals ist, dass die Türkei alle illegalen Migranten zurücknimmt, die EU sich aber verpflichtet, für jeden zurückgeschickten Syrer einen syrischen Kriegsflüchtling aus der Türkei aufzunehmen. Die Türkei soll für die Flüchtlingsbetreuung mit bis zu sechs Milliarden Euro von der EU unterstützt werden. Außerdem wird der Türkei eine Visaliberalisierung bis Ende Juni sowie die Eröffnung eines weiteren Kapitels in den EU-Beitrittsgesprächen in Aussicht gestellt.
„Das Fazit des heutigen Tages ist, dass Europa es schaffen wird“, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Der Deal habe einen „Moment der Unumkehrbarkeit“. Zugleich warnte sie vor übertriebenen Erwartungen. „Ich mache mir keine Illusionen. Mit dem heute beschlossenen Deal werden auch weitere Rückschläge verbunden sein.“ Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). „Das kann auch Wirkung entfalten“, sagte er mit Blick auf die Vereinbarung, die Migration „ordne“ und legale Einreise gegenüber der Illegalität bevorzuge. Allerdings dürfe man sich auch „nichts vormachen“: „Eine Flüchtlingspolitik, die so stark ist, dass sie die Kriege ungeschehen macht, gibt es nicht.“
EU-Kommissionspräsident Juncker sprach laut Reuters von einer „Herkulesaufgabe“. „Dies ist die größte logistische Herausforderung, mit der die Europäische Union sich je konfrontiert sah“, sagte er mit Blick auf die notwendigen Kapazitäten für die Asyl-Schnellverfahren und die Rückführung der Migranten. 4.000 Mitarbeiter seien zur Umsetzung der Absprachen erforderlich, in den nächsten sechs Monaten koste die Operation 280 bis 300 Millionen Euro. Der niederländische Diplomat Maarten Verwey soll als EU-Koordinator über die Umsetzung des Deals wachen.
Die Vereinbarung soll ab Sonntag, dem 20. März, zur Anwendung kommen. Dabei handelt es sich aber nur um einen Stichtag. Tatsächlich sollen die Migranten erst ab 4. April zurückgeschickt werden. Wie zur Demonstration ihrer Fähigkeiten teilten die türkischen Behörden laut Reuters am Freitag mit, dass sie 3000 Migranten auf dem Weg in Richtung der griechischen Insel Lesbos abgefangen hätten.
Umstritten war im Vorfeld des EU-Gipfels vor allem die Visaliberalisierung für die Türkei. Faymann betonte, dass es diesbezüglich keinen Abtausch gegeben habe. „Das ist kein Handel: Flüchtlingsthemen gegen Visa.“ Auch Davutoglu sagte, dass Ankara noch Bedingungen erfüllen müsse. „Es gibt einiges vonseiten der Türkei zu tun“, sagte er. Ankara habe bisher 37 der 72 „Benchmarks“ für die Visaliberalisierung erfüllt. Bis Anfang Mai sollen alle Vorgaben erreicht werden.
Der Deal sieht auch vor, dass noch unter niederländischer EU-Ratspräsidentschaft das Beitrittskapitel 33 (Finanzen und Haushalt) eröffnet wird. Weitere Kapitel sollen folgen, wenn im Juni eine Einigung in der Zypern-Frage erzielt ist. Derzeit laufen Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der in einen griechischen und türkischen Teil geteilten Insel. Die EU hat mehrere Verhandlungskapitel mit der Türkei auf Eis gelegt, weil die Türkei bisher noch nicht ihre Häfen für zypriotische Schiffe geöffnet hat. Tusk sagte, die Vereinbarung berücksichtige die Bedenken Zyperns.
Völlig unklar ist noch, wie die Europäische Union syrische Kriegsflüchtlinge aufnehmen und verteilen will. Faymann sagte, dass man diesbezüglich an einen Punkt kommen könne, „wo wir viele auffordern, solidarischer zu sein“. Mehrere EU-Staaten wollen derzeit nichts von der Aufnahme von Flüchtlingen wissen. Der ungarische Premier Viktor Orban zeigte sich nach dem Gipfel erfreut, die „größte Gefahr gebannt“ zu haben, nämlich einen Zwang zur Aufnahme von Flüchtlingen. Beim Gipfel hat die EU der Türkei 72.000 Plätze zur Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge angeboten, 18.000 Plätze aus dem laufenden Resettlement-Programm und 54.000 Plätze aus einem nicht genutzten Kontingent zur Umverteilung von Flüchtlingen.