Diskussionen über Achim Freyers „Pelleas et Melisande“ in Linz
Linz (APA) - Claude Debussys nicht allzu oft am Spielplan stehendes lyrisches Drama „Pelleas et Melisande“ erlebte nun in der Regie des inzw...
Linz (APA) - Claude Debussys nicht allzu oft am Spielplan stehendes lyrisches Drama „Pelleas et Melisande“ erlebte nun in der Regie des inzwischen 82-Jährigen deutschen Bühnenkünstlers Achim Freyer eine Neuinszenierung am Linzer Musiktheater. Während die musikalische Seite der Premiere am Samstagabend einhellig akklamiert wurde, sorgte Freyers Bühnenkonzept für Diskussionen beim Publikum.
Nicht wenige entzogen sich freilich der dreistündigen Herausforderung bereits mit der Pause. Freyer, der wie meist und nun auch in Linz nicht nur die Inszenierung, sondern auch Bühne, Licht und Kostüme verantwortet (dabei teilweise auch von Moritz Nitsche unterstützt), entschied sich für eine einerseits farbige und doch auch düstere Szene sowie ruhige und dennoch immer wieder bewegte Abläufe.
Das Dreiecksdrama um die junge, mit dem Königssohn Golaud verheiratete Melisande, die sich in dessen Halbbruder Pelleas verliebt und dieser in sie, siedelt Freyer nicht gewaltsam in der Gegenwart an, sondern zeitlos und doch in archaisch gekennzeichneter Umgebung. In Anlehnung an Debussys impressionistische Klangwelt und die damalige Malerei des Pointillismus beherrscht die große Bühne eine Art „Neo-Pointillismus“ in Form farbenspiegelnder Scheiben, 150 regelmäßig angeordneter hängender „Punkte“. Ihre Farben verändern sich je nach Stimmungslage der Handlung und der Gefühle der Protagonisten.
Diese Farbigkeit steht im Kontrast zur düsteren Ausstattung und Lichtführung rund um die handelnden Personen. Sie alle befinden sich während der dreistündigen Aufführung ständig auf der Bühne, die maskenhaften weißen Gesichter werden nur während ihres Gesanges aufgehellt. Allein Golaud und sein Kind Yniold sind auch körperlich erdhaft. Der Königssohn scheint überdies mit schweren Gewichten an den Füßen geradezu gewaltsam am Boden festgehalten. Der König, die Mutter von Golaud und Pelleas sowie Melisande hingegen schweben an Trapezen. Sie werden in extremer Zeitlupe auf und ab bewegt. Ebenso langsam bewegen sie auch ihre Arme, wobei Freyer jeder und jedem nur wenige immer wiederkehrende Gesten zuschreibt.
Bühne und Lichtdesign stellen an die Technik des neuen Hauses enorme Anforderungen. So ruhig auch die Personenführung Freyers angeordnet ist, so bringt sie dennoch die Gefühle der Personen gut zum Ausdruck. Sie kommen sich in Freyers Deutung aber weder körperlich nahe, noch sehen sie einander an. Nur Golaud und das Kind Yniold haben zumindest Blickkontakt. Die seelische Düsternis der Personen, die eigentlich nicht wirklich leben, sondern todgeweiht erscheinen, unterstreichen auch die Kostüme und die maskenhaften Gesichter.
Eindrucksvoll und einhellig vom Publikum akklamiert wurde die musikalische Seite des Abends. Debussy hat die Musik ja nicht als Illustration der Handlung gesehen - abgesehen allenfalls von der finalen tödlich verlaufenden Katastrophe - sondern als eigenständige Klangwelt, gleichberechtigt zum Wort und zur Bilderwelt. GMD Dennis Russell Davies entfaltet mit dem feinfühlig, dann wieder opulent musizierenden Bruckner Orchester Linz den stimmigen instrumentalen „Klang-Pointillismus“, in den sich das durchwegs großartige Solistenensemble einfügt: Nikolai Galkin als warmherziger König Arkel, Karen Robertson als Genevieve.
Seho Chang gibt mit mächtiger Stimme und düsterer Körperhaltung den eifersüchtigen Golaud, Iurie Ciobanu mit mühelosem Tenor Pelleas und Myung Jon Lee die tragische Melisande. Sie alle, und auch die junge Tabea Mitterbauer als vielversprechendes Talent in der Rolle des Kindes Yniold, setzen die Musik Debussys und die Vorgaben Achim Freyers perfekt um. Der Beifall für Dirigent, Orchester und Solisten erreichte geradezu demonstrative Lautstärke. Für Freyer mischten sich in den Schlussbeifall neben etwas Jubel auch einige, freilich zarte Buhrufe.
(S E R V I C E - „Pelleas et Melisande“ von Claude Debussy im Musiktheater Linz, Am Volksgarten 1, 4020 Linz. Inszenierung, Bühne, Kostüme und Lichtdesign: Achim Freyer, Musikalische Leitung: Dennis Russell Davies. Mit: Dominik Nekel - Arkel, Karen Robertson - Genevieve, Seho Chang - Golaud, Iurie Ciobanu - Pelleas, Myung Joo Lee - Melisande. Aufführung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Weitere Vorstellungen am 22. und 26. März, am 13. und 30. April, am 6., 20. und 24. Mai sowie am 27. Juni. www.landestheater-linz.at)
(B I L D A V I S O - Bilder von der Fotoprobe sind im AOM mit Datum 16. März abrufbar)