Schmähgedicht

Der Fall Jan Böhmermann: Protest gegen den Maulkorb

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Mit seiner Erdogan-„Schmähkritik“ hat Jan Böhmermann eine Staatsaffäre losgetreten. Der Präsident hat Strafantrag gestellt.

Von Christiane Fasching

Innsbruck –Jan Böhmermann ist vorerst von der Bildfläche verschwunden – die Grimme-Preisverleihung am Freitag hat er ausgelassen, seine Satire-Radiosendung „Sanft & Sorgfältig“ am Sonntag ließ er ausfallen. Und doch ist der TV-Satiriker präsenter denn je: Seine „Schmähkritik“ auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die er Ende März in seiner ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ verlesen hat, ist zur Staatsaffäre geworden. Wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes pocht die Regierung in Ankara auf Strafverfolgung. Dieser Tage sollen Mitarbeiter des deutschen Kanzleramts, des Auswärtigen Amts und des Justizministeriums zusammenkommen, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Die Staatsanwaltschaft Mainz teilte mit, dass Erdogan bereits einen Strafantrag gestellt habe. Theoretisch könnten Böhmermann bis zu fünf Jahre Haft drohen.

Der österreichische Satiriker Florian Scheuba hält das für „völlig absurd“ und erklärt gegenüber der TT: „Die Tatsache, dass es sich bei der Beleidigung eines Staatsoberhauptes um einen Strafbestand handelt, muss doch ein Satire-Einfall sein.“ In seinen Augen dürfte niemand vor einem Witz gefeit sein. „Auch ich habe mich schon mehrmals satirisch über Erdogan geäußert – nur hat er das wahrscheinlich nicht mitbekommen“, sagt Scheuba augenzwinkernd. Und hält fest: „Wenn die aktuelle Diskussion um Böhmermann dazu führt, dass dieses Gesetz abgeschafft wird, dann hätte die Geschichte eh was Gutes.“

Dass Scheuba sich nicht vor Kritik an der Politik scheut, hat er zuletzt Ende des Jahres im Jahresrückblick von „Wir Staatskünstler“ bewiesen. In einem Clip schlüpfte er ins Kostüm der scheidenden Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und persiflierte in erschreckend prophetischer Weise deren harte Flüchtlingspolitik. Ein empörter Anruf aus dem Innenministerium blieb aus. Scheuba: „Österreichs Politiker haben mittlerweile kapiert, dass es nicht besonders klug ist, sich lautstark über Satire zu echauffieren. Wenn sie was unternehmen, dann hinterrücks.“

Im Fall Böhmermann wird indes die Zahl der prominenten Unterstützer immer größer. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht“, schrieb Springer-Chef Mathias Döpfner in einem offenen Brief an Böhmermann in der Welt am Sonntag. Und schloss sich allen „Formulierungen und Schmähungen“ voll und ganz an. Döpfners Hoffnung: „Vielleicht lernen wir uns so ja vor Gericht kennen.“

Auch Komiker-Legende Dieter Hallervorden erhebt für Böhmermann die Stimme: Auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte der 80-Jährige am Sonntagabend das Lied „Erdogan, zeig’ mich an“, in dem er den türkischen Präsidenten als „Terroristen“ tituliert, der „auf freien Geist scheißt“. Ob das schon für eine weitere Intervention aus Ankara reicht? Im Radio legte Hallervorden nach: „Es steht einem ausländischen Staatsoberhaupt nicht zu, zu bestimmen, wie weit die Meinungsfreiheit und speziell die Satire in Deutschland zu gehen hat.“

Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varou­fakis, der im Vorjahr im Zentrum der Böhmermann’schen „Varoufake“-Satire stand, zeigt sich ebenfalls solidarisch mit Deutschlands meistdiskutiertem Fernseh-Macher: „Europa hat zuerst seine Seele verloren (das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei), jetzt verliert es auch noch seinen Humor. Hände weg von Jan Böhmermann“, forderte er auf seiner Facebook-Seite. Unter dem Motto „Freiheit für Böhmermann“ läuft indes eine Internet-Solidarisierungskampagne, die bis Montagnachmittag schon mehr als 50.000 Unterstützer zählte. Und auch der Hashtag #freeboehmi verbreitet sich rasant in den sozialen Netzwerken, die Böhmermann bekanntlich perfekt zu bespielen weiß.

Sorgen um seinen Job muss sich der 35-Jährige keine machen, das ZDF will an seinem Moderator festhalten. Dessen „Neo Magazin Royale“ stehe nicht zur Disposition. Von türkischer Seite wird indes die Kritik an Böhmermann präzisiert. Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus erklärte am Montag, das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung Erdogans, sondern aller 78 Millionen Türken. Kurtulmus ortet „ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und will, „dass dieser unverschämte Mann im Rahmen der deutschen Gesetze sofort wegen Beleidigung eines Präsidenten bestraft wird“.