Schmähgedicht-Affäre

Causa Böhmermann: Deutschland prüft Strafverlangen der Türkei

Muss ZDF-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann sich für sein Erdoğan-Gedicht vor Gericht verantworten? Die Regierung will in den kommenden Tagen über eine entsprechende türkische Forderung entscheiden.
© ZDF / Ben Knabe

Kein Pardon für Jan Böhmermann: Die türkische Regierung fordert strafrechtliche Konsequenzen für sein Erdogan-Gedicht. Dazu ist erst mal nicht die Justiz, sondern die Deutsche Bundesregierung gefragt. Das ZDF hält dem Moderator die Treue, eine Petition fordert “Freiheit für Böhmermann“.

Berlin — „Freiheit für Böhmermann" fordert eine Petition an die Deutsche Bundesregierung, die Sonntagnachmittag online gestellt wurde — und bereits mehr als 50.000 Unterstützer gefunden hat. Der Grund: Die Regierung will den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung von ZDF-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann wegen des umstrittenen Erdogan-Gedichts prüfen. Dies werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dazu sollte es noch am Montag erste Gespräche auf Ebene der fachlich Zuständigen im Auswärtigen Amt, Justizministerium und Kanzleramt geben.

Seibert betonte, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Dies gelte unabhängig davon, ob sie etwas für geschmacklos halte und davon, dass die EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zusammenarbeite.

Die Solidarisierungskampagne zieht ihre Kreise auch auf Twitter. Unter dem Hashtag #Freeboehmi wird die Petition verbreitet und User twittern ihre Meinung. Die Tweets enthalten meistens die gleiche Forderung: Die Bundesregierung soll dem türkischen Drängen nach einem Strafprozess nicht nachgeben. Auch Griechenlands früherer Finanzminister Janis Varoufakis, der dank Böhmermanns Stinkefinger-Affäre "Varoufake" europaweit in die mediale Schusslinie geriet, solidarisierte sich mit Böhmermann: "Erst hat Europa mit dem EU-Türkei-Deal seine Seele verloren, jetzt seinen Humor", twitterte Varoufakis am Montagvormittag. "Hände weg von Böhmermann".

ZDF: Zusammenarbeit steht nicht infrage

Böhmermanns satirische Fernsehshow „Neo Magazin Royale" steht nach ZDF-Angaben nicht zur Disposition. „Die Sendung wird wie bisher fortgeführt", teilte der Sender am Montag auf Anfrage mit. Die Aufzeichnungen sollen wie gewohnt stattfinden, sagte ein ZDF-Sprecher. „Neo Magazin Royale" werde am Donnerstagabend in der Mediathek und auf ZDFneo sowie am Freitag im ZDF zu sehen sein. Die Zusammenarbeit mit Böhmermann steht nach ZDF-Angaben nicht infrage.

Böhmermann hatte am 31. März in „Neo Magazin Royale" ein Gedicht über den türkischen Präsidenten mit dem Titel „Schmähkritik" vorgelesen, vorher allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Es enthielt zahlreiche Formulierungen, die unter die Gürtellinie zielen. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt, weil es mehrere Anzeigen gegen Böhmermann und ZDF-Verantwortliche gab. Zum Stand des Verfahrens sei dem Sender nichts Neues bekannt, sagte der ZDF-Sprecher.

„Verfahren grundsätzlich okay"

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall rechnet nicht mit einem Prozess gegen Jan Böhmermann. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anklage erhoben wird. Und ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Böhmermann tatsächlich verurteilt wird", sagte Überall am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Der ZDF-Satiriker habe mit seinem provokanten „Schmähkritik"-Gedicht eine Debatte darüber ausgelöst, was Satire darf. „Das muss man ihm zugute halten. In der Türkei dürften wir diese Diskussion mit Sicherheit nicht führen. Und ich bin glücklich in einem Land zu leben, in dem das möglich ist."

Allerdings wäre ein Strafverfahren nicht grundsätzlich abzulehnen, sagte der DJV-Vorsitzende. „Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist dabei aber immer, Be- und Entlastendes zusammenzutragen."

Der vorherige heftige Protest des türkischen Präsidenten Erdogan an der NDR-Satiresendung „extra 3" — was Auslöser für Böhmermanns Schmähgedicht war — sei zwar eine instinktlose Provokation gewesen. „Böhmermann hat darauf aber mit einer nicht minder instinktlosen Provokation reagiert. Er musste damit rechnen, dass das juristisch auf den Prüfstand gestellt wird."

Regierung statt Justiz: Paragrafen nicht mehr zeitgemäß

Die Paragrafen 103 und 104 im deutschen Strafgesetzbuch, die Beleidigungen ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellen, sind nach Einschätzung des DJV-Vorsitzenden fragwürdig. „Überspitzte Schmähkritik kann auch im Zusammenhang mit dem deutschen Staatspräsidenten strafbar sein", sagte Überall. „Aber Paragraf 103 und 104 sind problematisch, weil danach nicht ein Gericht, sondern die Bundesregierung die Entscheidung zu treffen hat. Ich tendiere dazu zu sagen, das ist nicht mehr zeitgemäß."

Paragraf 104 nennt als Voraussetzung der Strafverfolgung, dass „ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt". Überall sagte, in einem Rechtsstaat solle nicht die Regierung entscheiden, ob ein Verfahren aufgenommen werde. „Ich persönlich habe mit dieser Sonderregelung Bauchschmerzen." Erdogan sei es mit Hilfe der beiden Paragrafen möglich gewesen, die Bundesregierung vorzuführen und in eine ausgesprochen missliche Lage zu bringen.

Die Staatsanwaltschaft Mainz will bislang nicht über ein Strafverlangen der Türkei informiert worden. "Hier liegt noch nichts vor, und ich bin auch von keiner amtlichen Seite diesbezüglich unterrichtet", teilte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller am Montag. (TT.com, dpa)