Eine Backstube zum Preis eines Baguettes

Paris (APA/AFP) - „Ich habe mein Leben lang Brot gebacken. Jetzt bin ich müde.“ Michel Flamant begann als 14-Jähriger in der Familienbäckere...

Paris (APA/AFP) - „Ich habe mein Leben lang Brot gebacken. Jetzt bin ich müde.“ Michel Flamant begann als 14-Jähriger in der Familienbäckerei in Paris, heute ist der füllige Mann mit den weißen Haaren 62 Jahre alt. Zwei Jahre lang suchte er vergeblich einen Nachfolger für seine Bäckerei im ostfranzösischen Dole. Jetzt hat er ihn gefunden: Jerome Aucant, ein Obdachloser, soll in seine Fußstapfen treten.

Anstatt die Bäckerei zu verkaufen, übergibt Flamant sie dem 37-Jährigen für den Preis eines Baguettes: für einen symbolischen Euro. Was den Bäcker auf diese Idee brachte, ist die Geschichte einer Lebensrettung.

Wochenlang hatte er dem Obdachlosen, der vor seinem Geschäft herumlungerte, jeden Morgen einen Kaffee und ein Croissant ausgegeben. Dann erlitt der Bäcker im Dezember plötzlich wegen eines kaputten Ofens eine lebensgefährliche Kohlenmonoxidvergiftung. Es war Aucant, der den Notarzt rief. „Wäre Jerome nicht da gewesen, wäre ich auf dem Friedhof gelandet“, sagt Flamant. Als er nach zwölf Tagen aus dem Krankenhaus kam, bot er Aucant einen Job an.

Einträchtig stehen die beiden Männer - der Ältere im Unterhemd, der Jüngere im Tarnfarben-T-Shirt - in der heißen Backstube, kneten Teig und formen Croissants. „Ich bin fordernd. Die Arbeit muss so gemacht werden, wie ich es sage, und nicht anders“, sagt Flamant, während er ein Baguette auf dem Backblech zurechtrückt. Er arbeite gern Leute ein, „die auf meine Ratschläge hören, wie Jerome“, fügt er anerkennend hinzu.

Sechs Tage die Woche steht er von Mitternacht bis mittags in der Backstube im Keller, backt Brot, Kuchen und Torten. Seine Lebensgefährtin verkauft die Waren im Geschäft. Auch für sie wird eine Nachfolge gesucht. Flamants drei Töchter hatten andere Interessen. Und auch sonst wollte niemand die Bäckerei übernehmen.

So trat Aucant genau im richtigen Moment in Flamants Leben. Schnell war der Bäcker angetan von seinem tätowierten Lehrling, der sich extra für seinen ersten richtigen Job die Dreadlocks abschnitt. „Jerome ist ein Arbeitstier“, sagt Flamant. „Also habe ich beschlossen, ihm die Bäckerei für einen symbolischen Euro zu überlassen.“ Das Leben sei wichtiger als Geld. „Ich bin nicht reich, aber das Geld ist mir egal. Ich will frei sein, ich will jetzt meine Ruhe haben. Und wenn es ihm zum Glück verhilft...“ Flamant muss sich setzen, die Arthrose in seinen Beinen schmerzt.

Aucant, der bisher gelegentlich auf Volksfesten jobbte und nicht weiter über seine Vergangenheit sprechen will, ist voller Tatendrang: „Ich habe Lust zu arbeiten, und die Arbeitszeiten in der Bäckerei machen mir keine Angst“, sagt er. Im September soll die Einarbeitung beendet sein, dann will Flamant die Schlüssel zur Backstube an seinen Lehrling übergeben.