Stemann über „Wut“: „Versuch, zu verstehen, was da gerade passiert“

München (APA/dpa) - Elfriede Jelinek hat ein Stück über den Terror gegen „Charlie Hebdo“ geschrieben, Nicolas Stemann inszeniert es an den M...

München (APA/dpa) - Elfriede Jelinek hat ein Stück über den Terror gegen „Charlie Hebdo“ geschrieben, Nicolas Stemann inszeniert es an den Münchner Kammerspielen. Premiere ist am Samstag (16. April). Im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München spricht der Regisseur über Jelineks Wut - und seine eigene.

Frage: Elfriede Jelinek hat ein Stück über den islamistischen Terror geschrieben, direkt nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“. Was für ein Stück ist es geworden?

Antwort: Es ist der Versuch, das zu verstehen, was da gerade passiert. Das Stück ist ja in den Wochen nach dem Angriff auf „Charlie Hebdo“ geschrieben worden. Natürlich konnte da noch keiner wissen, was noch alles passiert und dass das Stück auf schreckliche Art und Weise noch aktueller wird, als es das damals war. Es ist der Versuch, die Situation gerade in Form von Sprache und Gedanken zu fassen. Dabei ist die Autorin sich aber die ganze Zeit bewusst, dass dieser Versuch vergeblich ist, weil die Erlebnisse noch viel zu unmittelbar sind und weil man, um wirklich zu verstehen, was da gerade passiert, bestimmte Affekte überwinden muss. Und da kommt man dann gleich zum Titel: „Wut“. Es heißt ja nicht „Islamistischer Terror“ oder so. Ausgehend vom islamistischen Terror mischen sich in diesem Stück Stimmen von wütenden Menschen in den Text: Es gibt die deutschen Wutbürger, es gibt Pegidisten, es gibt Neonazis. Und immer wieder kehrt der Text zum Herakles-Mythos zurück, zu diesem Helden, der sich nicht an den Leuten rächt, die ihm wirklich das Leben zur Hölle machen - sondern im Wahn seine Familie auslöscht: er tötet die Falschen. So hat man auch jetzt das Gefühl, dass die eigentliche Konfliktlinie nicht zwischen Karikaturisten und Moslems verläuft. Grund für Wut gibt es genug, es gibt entsetzliche Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf der Welt, aber die Wütenden suchen sich die falschen Opfer.

Frage: Wie sind Sie an das Stück herangegangen?

Antwort: Das war nicht ganz einfach. Wir versuchen, diese Dinge im Text nachzuvollziehen. Ich habe noch nie ein Stück inszeniert, das so unmittelbar und aktuell war und geradezu täglich von den Ereignissen überholt und neu aufgeladen wird, die man in den Nachrichten hört. Im Mittelpunkt des Stückes steht der Anschlag auf „Charlie Hebdo“, auf eine satirische Kultureinrichtung im weitesten Sinne. Auch das Bataclan gehörte im weitesten Sinne zu einer eher subversiven Kultur - und das ist ja genau das, was wir hier auch machen. Wir machen subversive Kunst über Attacken, die subversiver Kunst galten und stehen damit auch irgendwie im Fadenkreuz.

Frage: Haben Sie da Angst?

Antwort: Nein, ich glaube nicht, dass wir da bedroht sind, aber ich finde diesen Umstand interessant und auch merkwürdig. Man fragt sich schon immer: Darf man das, was wir hier tun? Dabei geht es nicht um die Frage, ob man irgendwelche Islamisten beleidigt. Das kann man im Zweifel so wie so nicht verhindern und die sind auch nicht primär unsere Zielgruppe. Aber ich versuche, nicht rumzuzündeln, weil ich auch nicht weiß, was das bringen sollte. Ich bin zwar mit Satire aufgewachsen und fühle mich auch einem Blatt wie „Charlie Hebdo“ sehr nahe. Mir ging der Anschlag schon sehr nahe. Allerdings fand ich die Reaktionen darauf und dieses „Wir sind Charlie“, das ja auch Diktatoren und die Springer-Presse für sich beansprucht haben, nicht so besonders hilfreich. Da waren viele Leute auf einmal Charlie, die sich zu Zeiten, als es noch ein linksradikales Schmuddelblatt war, auf keinen Fall als Charlie bezeichnet hätten. Ich verstehe es, dass man unmittelbar nach den Anschlägen ein Zeichen der Solidarität sendet, aber irgendwie wurde damit aus einem subversiven Lachen ein staatlich verordnetes. Ich denke also nicht, dass wir für das Theaterstück jetzt die Mohammed-Karikaturen nachspielen müssen.

Frage: Jelinek hat das Stück geschrieben, ohne zu wissen, was in Paris und Brüssel noch alles passiert. Sie wissen das jetzt. Wirkt sich das auf Ihre Inszenierung aus?

Antwort: Ja, sicher. Das lässt sich ja gar nicht vermeiden. Ich habe Jelinek auch gefragt, ob sie nicht weiter an dem Stück schreiben will. Das hatten wir ja bei „Kontrakte des Kaufmanns“ so ähnlich, das 2008 unmittelbar vor dem Lehman-Crash, entstanden ist und sich dann auf einmal als Kommentar zu dem Crash las. Damals hat sie weiter geschrieben - dieses Mal wollte sie das nicht. Das verstehe ich sehr. Es ist ihr Sprachkunstwerk, es ist jetzt fertig und es wird sich mit allem, was da sonst noch passiert, von selber weiter aufladen. Das habe ich jetzt bei „Schutzbefohlenen“, wo es um die Flüchtlingskrise geht, auch gemerkt. Da ist ja seit der Premiere auch unglaublich viel passiert. Ab einem gewissen Punkt kommt man auch einfach nicht mehr hinterher und dann muss man darauf vertrauen, dass die Kunst selber arbeitet, was sie auch tut. Jelinek hat auch in diesem Fall mal wieder relativ prophetisch geschrieben. Ob man sich die Islamisten anschaut, die Nazis oder die AfD-Erfolge - man hat das Gefühl, Wut ist das beherrschende Gefühl derzeit. Und es wird ja nicht weniger. Wut ist ein zerstörerisches Gefühl.

Frage: Können Sie sich von Wut freisprechen?

Antwort: Natürlich nicht. Wenn ich höre, in Lahore wird ein Spielplatz attackiert, auf dem sich Eltern und Kinder friedlich aufhalten - natürlich gerate ich da in Wut. Das kennt ja jeder. Es ist nur wichtig, sich im Moment davon nicht so forttragen zu lassen. Das wird immer schwieriger und das liegt auch an der Art unserer Kommunikation, der Art, wie Diskurse geführt werden. Das hängt sicher auch mit dem Internet zusammen. Es ist ein guter Resonanzraum für wütende und zornige Affekte. Man will von seinem Schreibtisch aus mit seinem nächsten Post die Debatte beenden, die Gegner vernichten. Die Gegner reagieren darauf aber mit dem gleichen Impuls. Diskussionen im Internet bleiben selten gelassen und produktiv. Jelinek schreibt auch teilweise Hass-Posts ab und webt sie in den Text ein.

ZUR PERSON: Nicolas Stemann (geboren 1968 in Hamburg) ist seit 2015 Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen. Er ist ein Experte für das Werk von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und inszenierte bereits zahlreiche ihrer Stücke - darunter „Die Kontrakte des Kaufmanns“, „Rein Gold“ und zuletzt „Die Schutzbefohlenen“.

(Das Gespräch führte Britta Schultejans/dpa)

(S E R V I C E - https://www.muenchner-kammerspiele.de)

(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen nach der Fotoprobe am 14. April unter https://www.muenchner-kammerspiele.de/pressebereich#1039-aktuelle-pr oduktionen zum Download bereit.)