Die Akte Assad: Syrer wollen Diktator vor Kriegsgericht stellen
Unter Einsatz ihres Lebens schaffen Syrer Dokumente aus dem Land, die die Kriegsverbrechen des syrischen Machthabers dokumentieren sollen. Ihr Ziel: Assad soll vor ein Kriegsverbrechertribunal.
Damaskus, New York – Elf Checkpoints sind es noch bis zur Grenze. Der Fahrer hat sie unzählige Male passiert, hat den Soldaten immer ein paar freundliche Worte zukommen lassen oder auch mal kleinere Geschenke. Sie kennen ihn. Er hofft, dass nicht wieder ein neuer unbekannter Checkpoint dazugekommen ist. Denn das kommt hier ständig vor. Nicht immer sind es nur Assads Soldaten, die kontrollieren. Auch Rebellen der verschiedensten Gruppierungen schlagen von heute auf morgen irgendwelche Grenzstationen auf, um die Menschen zu kontrollieren.
Artikel „The New Yorker“
Den Artikel des „New Yorkers“ finden Sie hier: http://bit.ly/23DOOcd
Er wagt es trotzdem: Er packt seinen Kofferraum voll mit Dokumenten, die zuvor in Kellern und Erdlöchern versteckt waren. Elf Checkpoints bis zur Grenze. Er hat Glück: Kein neuer Kontrollposten an diesem Tag, bekannte Soldaten, die ihm nur zunicken und ihn durchfahren lassen. Er schafft es bis zur ersten westlichen Botschaft, wo er seine wertvolle Ladung abgibt. Wäre er gefasst worden, hätte er das wohl nicht überlebt. Das syrische Regime ist gnadenlos gegenüber Spionen. Als solchen würden sie ihn bezeichnen. Denn er hat Material außer Landes geschaffen, dass die Gräueltaten des Regimes dokumentieren soll. Über Hundert Landsleute tun es ihm gleich.
Vom Schicksal des Fahrers und den geheimen „Assad Akten“ berichtet der New Yorker in seiner aktuellsten Ausgabe eindrucksvoll.
Kommission dokumentiert Fälle
Die Dokumente werden von der „Internationalen Kommission für Gerechtigkeit und Rechenschaft“ (International Commission for Justice and Accountability) gesammelt, die 2012 als Antwort auf den Syrienkrieg gegründet wurde.
In den vergangenen Jahren haben Syrer, die für die Gruppe arbeiten, mehr als 600.000 Regierungsdokumente aus dem Land gebracht, viele davon waren als „top-secret“ gekennzeichnet. Jede einzelne Seite wird eingescannt, mit einem Code versehen und im Untergrund archiviert.
Die Papiere dokumentieren Grausamkeiten, die nicht etwa gegen die feindlichen Rebellen sondern gegen Zivilisten begangen worden sein sollen. Folter und Mord, die dem Assad-Regime angelastet werden, hat die Kommission fein säuberlich aufgelistet und zu dicken Akten zusammengefasst.
Das Regime in Syrien hat laut New Yorker freilich auch auf möglichen Dokumentenraub reagiert. So würden Wasserleitungen manipuliert werden, damit sie platzen, sobald die Räume in Rebellenhände fallen. Das Wasser macht die Schriftstücke unbrauchbar.
Die Schmuggler setzen immer ihr Leben aufs Spiel, wenn sie versuchen, belastendes Datenmaterial außer Landes zu bringen. Originaldokumente sind schwer zu transportieren und belastend. Fotos, die einfach geschmuggelt werden könnten, werden wiederum oft vor dem Kriegsgericht nicht gewertet, weil sie nur schwer authentifiziert werden können.
Viel Material wird deshalb einfach nur in Kellern innerhalb der Landesgrenzen gelagert oder in Erdlöchern markiert. Die Aktivisten markieren diese Löche auf Karten, in der Hoffnung, dass sie sie eines Tages ausgraben können, wenn das Blutvergießen aufgehört hat.
Parlamentswahlen wirken wie Hohn
Wie viele Menschen im Syrien-Krieg ihr Leben verloren haben, ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von rund einer halben Million Menschen aus. Fünf Millionen Syrer sind auf der Flucht.
Angesichts dieser Zahlen mutet es fast zynisch an, dass Bashar al-Assad am Mittwoch eine Parlamentswahl abhalten lässt. Freie Wahlen in einem Land, dessen halbe Wählerzahl auf der Flucht ist. 3500 Kandidaten, die vom Regime handverlesen um 250 Sitze im Parlament ringen. Vor Assads letzter großen Rede standen sie alle Spalier, um dem Diktator ihren Respekt zu zollen. Viele skandierten laut Spiegel Online: „Mit unserer Seele und unserem Blut opfern wir uns für dich, Baschar!“
In den vergangenen fünf Jahren haben Hunderttausende Syrer ihr Leben geopfert. Für ihr Land, für ihre Kinder. Und manche auch dafür, dass das Regime für die Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen wird, die es an der Zivilbevölkerung begangen haben soll. (rena)