Attacken auf Erdogan

Satire nach der Satire: Viel Solidarität mit Jan Böhmermann

Entertainer Jan Böhmermann.
© ZDF und Ben Knabe

Nach der Anzeige von Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen Jan Böhmermann solidarisiert sich die Kollegschaft mit dem Satiriker. Besonders ein offener Brief macht die Runde.

Hamburg — „Sehr geehrter Herr Präsident Erdogan, Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland möchte ich mich bei Ihnen für die 'schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit' entschuldigen, die Herr Böhmermann Ihnen gegenüber verübt hat": so beginnt ein „offener Brief", der derzeit im Internet die Runde macht. Geschrieben hat ihn Boris Palmer, deutscher Politiker der Grünen.

In dem Brief rechnet der Tübinger Oberbürgermeister mit dem türkischen Staatsoberhaupt ab — ohne Grenzen zu überschreiten. An einer anderen Stelle heißt es etwa: „Ich halte es für völlig inakzeptabel, dass ein Satiriker unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Sie als Staatsoberhaupt um die Ehre bringt und unterstütze daher voll und ganz Ihr Verlangen, ihn angemessen zu bestrafen. Dies gilt um so mehr, als Sie den Kampf gegen die Meinungsfreiheit im eigenen Land mit großer Überzeugung und glaubwürdig führen."

Der Beitrag von Palme wurde bereits fast 2700 Mal auf dem sozialen Netzwerk Facebook geteilt. Den Brief finden Sie in voller Länge in der Factbox.

Weiterer offener Brief fordert Diskussion statt Strafe

Das ist nicht die einzige Unterstützung, über die sich Böhmermann nach seinem Schmähgedicht freuen kann. Zahlreiche Schauspieler und Künstler solidarisierten sich in einem weiteren in der Wochenzeitung „Die Zeit" veröffentlichten offenen Brief mit Jan Böhmermann — und dieser ist auch ernst gemeint. In dem Schreiben fordern sie eine Ende der Ermittlungen gegen den Satiriker durch die Staatsanwaltschaft in Mainz.

„Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal", heißt es darin. Zu den Unterzeichnern zählen nach Angaben der „Zeit" unter anderem die Schauspieler Matthias Brandt, Jan Josef Liefers, Peter Lohmeyer und Katja Riemann, der Pianist Igor Levit, die Schriftstellerin Thea Dorn sowie der Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf.

„Künstler dürfen sich nicht selbst zensieren"

„Kunst kann nicht in einem Klima stattfinden, in dem sich Künstlerinnen und Künstler Gedanken darüber machen müssen, ob ihr Schaffen zur Strafanzeige führt, in dem sie beginnen, sich selber zu zensieren, oder zensiert zu werden", heißt es in dem offenen Brief. Es sei die Aufgabe von Kunst und Satire, öffentliche Diskurse zu entfachen.

Der “offene Brief“ in voller Länge

Den Facebook-Eintrag mit dem Titel "Böhmermann spricht nicht für Deutschland" finden Sie hier.

Sehr geehrter Herr Präsident Erdogan,

Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland möchte ich mich bei Ihnen für die "schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit" entschuldigen, die Herr Böhmermann Ihnen gegenüber verübt hat.

Ich halte es für völlig inakzeptabel, dass ein Satiriker unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Sie als Staatsoberhaupt um die Ehre bringt und unterstütze daher voll und ganz Ihr Verlangen, ihn angemessen zu bestrafen. Dies gilt um so mehr, als Sie den Kampf gegen die Meinungsfreiheit im eigenen Land mit großer Überzeugung und glaubwürdig führen. Mehr als 2000 Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten sprechen eine klare Sprache. Eine Verurteilung von Herrn Böhmermann in Deutschland wird den Widerständigen in der Türkei klar machen, dass sie sich nicht auf westliche Werte berufen können.

Für eine spürbare Strafe scheint mir das deutsche Strafrecht aber zu schwach. Ich möchte Sie daher dazu ermutigen, nach einer Verurteilung dieses unverschämten Mannes ein Auslieferungsersuchen einzureichen.

Angesichts Ihrer großen Verdienste in der Flüchtlingskrise können Sie von Deutschland eine bevorzugte Behandlung erwarten. Die EU hat bereits bewiesen, dass sie lieber moralisch zweifelhafte Arbeit der Türkei auflädt, als selbst die eigene Grenzen wirksam zu schützen. Es ist zu erwarten, dass daher die angemessen harte Strafe nur möglich ist, wenn sie in der Türkei erfolgt.

Schneiden Sie Herrn Böhmermann die Eier ab, damit er sich nie wieder über Präsidenten mit kurzem Schwanz lustig macht.

Ergebenst

Ihr Boris Palmer

Böhmermann hatte den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor knapp zwei Wochen in einem im Fernsehen verlesenen Gedicht mit scharfen Worten angegriffen. Die Bundesregierung prüft derzeit ein Ersuchen der türkischen Regierung, den Moderator wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Erdogan stellte zudem persönlich Anzeige gegen Böhmermann wegen Beleidigung.(mats/APA/AFP)