Herkunft, Erbe und das Ich
Rechnitz-Massaker, Sibirien: „Und was hat das alles mit mir zu tun?“ Der Journalist Sacha Batthyany lotet die Untiefen seiner Familie mit dem großen Namen aus und begegnet sich selbst.
Innsbruck – „Was steckt von damals in meinen Knochen?“ Diese Frage stand, wie der Schweizer Journalist Sacha Batthyany anlässlich der Präsentation seines Buches „Und was hat das alles mit mir zu tun?“ in der Wiener Hauptbücherei erzählte, am Beginn eines Analyseprozesses, der sein Schreiben begleitete. Das „Damals“, dem der Autor nachspürt, sind die von NS-Verbrechen, Flucht, Kriegsgefangenschaft und kommunistischer Unterdrückung gezeichneten 1940er- und 1950er-Jahre. Angelpunkt und Auslöser seiner Recherche ist das Massaker von Rechnitz, dem in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ungefähr 180 bei der Errichtung des „Südostwalls“ eingesetzte jüdische Zwangsarbeiter zum Opfer gefallen sind. Tante Margit, deren eidechsenartigen Zungenbewegungen den kleinen Großneffen Sacha bei den langweiligen Zürcher Nobelrestaurantbesuchen beeindruckten, ist, wie der Erwachsene durch Zufall erfährt, jene „Gastgeberin der Hölle“, von deren rauschendem Fest einige Besucher zum Morden aufbrachen, um nach getaner Tat mit der fröhlichen Gräfin weiterzutanzen. Hinter das Geheimnis der bis heute nicht restlos geklärten Vorgänge jener Nacht will der gelernte Journalist kommen, will die Schuldverstrickung der Margit Batthyány, geborene Thyssen, abermals untersuchen. Sacha Batthyany, Jahrgang 1973, befragt Familienmitglieder, Experten und Historiker, reist ins burgenländische Rechnitz, um schließlich zu begreifen, dass er die Geschichte dieses Kriegsende-Verbrechens nicht neu erzählen kann. Vergeblich ist die Spurensuche jedoch keineswegs, begegnet der akribisch Forschende doch sowohl seinem Vater, seinem zehn Jahre in sowjetischen Lagern eingesperrten Großvater wie auch und vor allem der geliebten Großmutter auf neue, schmerzhafte wie heilende Weise. Therapiesitzungen beim klugen Analytiker in Zürich befähigen zur Reise ins Ich und lassen Muster erkennen, die sich, so der Autor, „wiederholen, bei mir, im Leben meiner Großmutter, bei meinem Vater“. Aus dem Tagebuch der Großmutter erfährt er von deren lebenslangem Trauma, Mitschuld am Tod eines jüdischen Nachbarpaares zu tragen, mit dem ihm entfremdeten Vater sucht er die sibirischen Lager auf, in denen der Großvater einsaß, und findet eine neue Nähe. In Argentinien schließlich trifft er mit der hochbetagten Auschwitz-Überlebenden Agnes die Tochter des ermordeten jüdischen Ehepaares, womit diese intensive und sehr lesenswerte Selbsterforschung endet, nicht ohne, beim Autor wie beim Leser, die Wichtigkeit der Frage nach der Festschreibung von Vergangenheit in uns allen zu untermauern. (lietz)
Geschichte Sacha Batthyany: Und was hat das alles mit mir zu tun? KiWi, 256 Seiten, 20,60 Euro.