Machtkampf in Brasilien geht am Sonntag in entscheidende Phase
Brasilia (APA/AFP) - Der Machtkampf in Brasilien tritt am kommenden Sonntag in die entscheidende Phase ein. Nach einer mehrtägigen Debatte i...
Brasilia (APA/AFP) - Der Machtkampf in Brasilien tritt am kommenden Sonntag in die entscheidende Phase ein. Nach einer mehrtägigen Debatte in der Abgeordnetenkammer ist für diesen Tag das Votum über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff vorgesehen, wie das Parlamentspräsidium am Dienstag mitteilte. Rousseff sieht sich indes als Opfer eines „Putsches“.
Die an der Regierung beteiligte Fortschrittspartei kündigte an, sich aus der Regierungskoalition zurückzuziehen. Die Debatte über das Amtsenthebungsverfahren soll am Freitag beginnen, dann können Unterstützer und Gegner der Präsidentin ihre Argumente vortragen. Das Votum startet dann am frühen Sonntagnachmittag (Ortszeit), mit einem Ergebnis werde „am späten Abend“ gerechnet, sagte ein Sprecher des Parlamentspräsidenten. Abgestimmt wird namentlich und einzeln, nötig ist eine Zweidrittelmehrheit, also mindestens 342 der 513 Abgeordneten.
Wird die Mehrheit für eine Amtsenthebung erreicht, geht das Anliegen in den Senat. Einer Umfrage der Zeitung „Estadao“ zufolge waren zuletzt 300 Abgeordnete für ein Amtsenthebungsverfahren, 125 waren dagegen und 88 noch unentschieden. Die Fortschrittspartei kündigte am Dienstag an, der Koalition den Rücken kehren zu wollen. Demnach will die Mehrheit der 47 Parlamentarier gegen Rousseff stimmen.
Die brasilianische Staatschefin steht seit langem unter Druck und wird unter anderem für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens verantwortlich gemacht. Ihr wird zur Last gelegt, Haushaltszahlen geschönt und ihren Wahlkampf illegal mit Spenden von Zulieferern des staatlichen Ölkonzerns Petrobras finanziert zu haben.
Rousseff selbst sieht sich allerdings als Opfer einer Verschwörung. Ihren Stellvertreter Michel Temer bezeichnete sie als „Verräter“, nachdem dieser angeblich versehentlich seine vorbereitete Antrittsrede als Übergangspräsident veröffentlicht hatte. Der 75-Jährige würde vorübergehend den Posten des Staatschefs übernehmen, falls Rousseff ihres Amtes enthoben würde.
„Wir leben in befremdlichen und beunruhigenden Zeiten“, sagte Rousseff in einer Rede in Brasília, „in Zeiten des Putsches, der Täuschung und des Vertrauensverlusts“. Ihr Vize Temer habe sie und die brasilianische Demokratie verraten. Zusammen mit Parlamentspräsident Eduardo Cunha stehe er an der Spitze einer „Verschwörung“, sagte Rousseff.
Temer wies das zurück und erklärte, vielmehr sei ein Kampf gegen ihn auf persönlicher und professioneller Ebene im Gange. „Ich führe keinen Krieg, ich verteidige mich“, sagte er dem Sender Globo News. Zugleich stellte er klar, dass er das Zeug für Rousseffs Posten habe: Er wolle nicht anmaßend erscheinen, aber er habe „eine Menge Erfahrung im öffentlichen Leben“, sagte Temer.
Wenn der Senat nach dem Parlamentsvotum den Fall zur Amtsenthebung Rousseffs formell annähme, dann würde Temer, Chef der rechtsliberalen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB), für bis zu 180 Tage während des weiter laufenden Verfahrens der Übergangspräsident. Bei einer endgültigen Amtsenthebung Rousseffs durch den Senat würde Temer dies bis zum Ende der Amtszeit 2018 bleiben. Die Veröffentlichung seiner 14-minütigen Rede an die Nation bezeichnete er am Montag als Panne. Nach Angaben seines Büros hatte Temer die Rede auf seinem Smartphone probeweise aufgenommen und dann versehentlich gesendet.
Die brasilianischen Behörden stellten sich unterdessen schon auf Tumulte rund um die Abstimmung am Sonntag ein. Die Debatte soll live im Fernsehen sowie über Großleinwände am Parlament nach draußen übertragen werden. Insgesamt wurden 300.000 Menschen aus beiden politischen Lagern vor dem Parlament erwartet, die durch Absperrungen voneinander getrennt werden sollen. Polizei und Feuerwehr wollen mit 4000 Einsatzkräften vor Ort sein.