Landespolitik

Brenner: Die Rückkehr des Grenzbalkens

Ausgedient? Mitnichten! Im Panorama Tirol ist der Grenzbalken vom Brenner ausgestellt, ab Juni ist es mit der Freizügigkeit wieder vorbei.
© Thomas Boehm / TT

Der Brenner ist nicht irgendein Grenzübergang. Wirtschaftlich bedeutend und historisch belastet wurde er zum Symbol der europäischen Einigung. Mit den geplanten Grenzkontrollen verkörpert er jetzt das Scheitern.

Von Peter Nindler

Innsbruck – Europa spricht über den Brenner, dem wichtigsten Alpenübergang auf 1370 Metern Seehöhe. Die geplante Grenzsicherung wegen der Flüchtlingskrise wird zur emotionalen Zerreißprobe, weil der Brenner nicht irgendeine Grenze ist.

1. Das Symbol zur Überwindung nationalstaatlicher Grenzen in Europa.

„Was ich jetzt jeden Tag lese und höre ist anachronistisch“, sinniert der Südtiroler Politikwissenschafter Günther Pallaver. Beinahe täglich passiert er den Brenner auf dem Weg zur Uni Innsbruck. Der Brenner hat für ihn eine europäische Dimension, „weil Europa die Grenze beseitigt hat“. Die Zerreißung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg schlug tiefe Wunden, mit dem Beitritt Österreichs zur EU wurden die nationalstaatlichen Grenzen überwunden.

2. Der Brenner verbindet Tirol, Südtirol und das Trentino in der Euregio.

Seit 1995 verbindet der Brenner die Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino. Ist die Europaregion mit den Grenzkontrollen jetzt gescheitert? „Ja“, sagt Pallaver. „Die Euregio scheitert, weil auch Europa an der Flüchtlingskrise bisher scheitert.“ Wie ein Wasserfall stürze das Versagen Europas auf die Regionen herab. „Die Euregio hat hier nur wenig Spielraum, allerdings hätte sie in der gemeinsamen Flüchtlingsfrage proaktiver auftreten können“, glaubt der Politologe.

3. Die offene Grenze ist für Südtirol die Verbindung zum Heimatland.

Der Abbau des Grenzbalkens am 1. April mit dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens machte die Staatsgrenze klein. Für die deutschsprachigen Südtiroler ist Österreich das Heimatland, der „offene Brenner“ symbolisiert diese Verbindung. Mit den Grenzkontrollen agiert die Politik deshalb ahistorisch.

4. Südtirol befürchtet, dasss es mehr Flüchtlinge aufnehmen muss.

Bisher hat auch Südtirol die Politik des Durchwinkens verfolgt. In Südtirol sind derzeit nur rund 800 Asylwerber untergebracht, im Bundesland Tirol sind es aktuell 6400. Kontrollen am Brenner bringen Südtirol unter Druck, plötzlich vermehrt Unterkünfte zu schaffen. Hier sieht Günther Pallaver jedoch insgesamt eine zu defensive Politik in der Euregio. „Südtirol, Tirol und das Trentino hätten hier gemeinsam Tausende Asylplätze schaffen können.“

5. Freier Personen- und Warenverkehr sind mittlerweile Eckpfeiler.

So sehr der (Transit)-Verkehr seit Jahrzehnten das Wipptal belastet und der Brennerpass auch für ein Versagen der europäischen Verkehrspolitik steht, die Grenzkontrollen würden den freien Personen- und Warenverkehr massiv behindern. „Wenn Österreich die Grenze sperrt, um die Flüchtlinge herauszufiltern, dann staut sich alles, dann stockt das Blut im Herzen Europas. Und das ist nicht gesund“, schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung.

6. Die Nord-Süd-Achse passieren jährlich 12,9 Millionen Fahrzeuge.

12,9 Millionen Fahrzeuge, davon mehr als zwei Millionen Lkw, fahren jährlich über den Brenner. Für die Tiroler ist der Gardasee ein Katzensprung, Wartezeiten bei der Rückreise werden in Kauf genommen. Mit den Grenzkontrollen ab Juni würden diese aber zur Geduldsprobe ausarten, vor allem für die Italien-Urlauber im Sommer aus dem Nachbarland Deutschland. Der Ausflugstourismus dürfte wohl auch darunter leiden.

7. Der Brenner ist seit 2000 Jahren eine der wichtigsten Handelsrouten.

Der Brenner ist gleichzeitig seit Jahrhunderten eine der wichtigsten Handelsrouten in den Alpen neben Gotthard, Simplon und dem Mont Cenis. Kaiser Septimius Severus ließ bereits in den Jahren von 195 bis 215 die ersten befestigten Straßen anlegen, ab 1960 wurde die Brenner­autobahn gebaut. Heute werden 42,6 Millionen Tonnen Güter über den Brenner transportiert, zwölf davon auf der Bahn. Neben dem politischen Druck nimmt auch der Protest aus der Wirtschaft gegen Grenzkontrollen zu. „Da bahnt sich eine massive Auseinandersetzung an, der Druck der Frächter ist nicht zu unterschätzen“, ortet Politikwissenschafter Günther Paller enormes Konfliktpotenzial.

8. Der Ort Brenner ist wirtschaftlich wieder erblüht.

Für den Ort Brenner selbst wären Grenzkontrollen ebenfalls ein wirtschaftlicher Schaden, erst in den vergangenen Jahren blühte er rund um das Outletcenter wieder auf.

9. Der Brenner ist wegen der beengten Lage ein Flaschenhals.

Wegen der beengten Lage ist das Grenzmanagement am Brenner schwierig, die Breite der Talsohle beträgt lediglich 250 Meter. Zur Sicherung der Flanken benötig es die umstrittenen Zäune, die bereits mit einem neuen „eisernen Vorhang“ verglichen werden.

10. Europas Flüchtlingspolitik versagt sichtbar am Brenner

Letztlich wird das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik mit dem Grenzmanagement am Brenner sichtbar. Nach dem 1. Weltkrieg hat der Brenner getrennt, in den vergangenen Jahren wieder verbunden, jetzt wird er zum Symbol des Scheiterns der Europäischen Idee.

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