Europas Atomanlagen im Visier der Extremisten
Paris/Frankfurt (Reuters) - Spätestens seit den Anschlägen von Paris und Brüssel macht der Schutz der europäischen Atomanlagen die Sicherhei...
Paris/Frankfurt (Reuters) - Spätestens seit den Anschlägen von Paris und Brüssel macht der Schutz der europäischen Atomanlagen die Sicherheitsbehörden unruhig. Laut einem Medienbericht wurden bei dem mutmaßlichen Organisator der Anschläge von Paris, Salah Abdeslam, Fotos des Forschungszentrums Jülich an der Grenze zu Belgien gefunden. Der Verfassungsschutz wies den Bericht zurück.
Laut belgischen Berichten hatten aber auch die Attentäter von Brüssel zunächst Atomkraftwerke ins Visier genommen. Polizeirazzien und Festnahmen in der belgischen Hauptstadt führten demnach dazu, dass die Pläne geändert wurden. Stattdessen töteten die islamistischen Extremisten sich selbst und mehr als 30 Menschen am Flughafen und in einer Metro-Station.
Zwar halten Sicherheitsexperte es für unwahrscheinlich, dass ein Reaktor gesprengt werden könnte, aber sie haben eine Reihe von Schwachstellen bei der Sicherung von Atomanlagen ausgemacht: 2014 flossen 65.000 Liter Öl aus einer Turbine des belgischen Meilers Doel4 und beschädigten sie. Doel4 musste mehrere Monate vom Netz. Die Ermittler machten Sabotage aus. Die Täter konnten zwar nicht gefasst werden. Bei der Fahndung wurde aber festgestellt, dass zumindest ein Islamist in der Anlage beschäftigt gewesen war. Der Mann wurde später auf der Seite einer Extremistengruppe im syrischen Bürgerkrieg getötet.
Die „Initiative gegen nukleare Bedrohung“ (NTI) warnt daher gerade vor solchen Attacken von innen. „Die Gefahr durch Insider ist besonders schwer zu bekämpfen. Sie hängt an der Fähigkeit, die Angestellten zu durchleuchten und deren Absichten herauszufinden“, sagt Page Stoutland von der NTI mit Sitz in den USA.
Im Dezember fand die belgische Polizei nach einer Razzia im Zusammenhang mit den November-Anschlägen von Paris ein Video, das die Bewegungen eines hochrangigen Mitarbeiters aus dem Nuklear-Industrie zeigte. Daraufhin wurden die Sicherheitsvorkehrungen an den AKW verstärkt und unter anderem Militär dort eingesetzt.
Schon nach den Attacken auf das World Trade Center 2001 hatte Frankreich Luftabwehrraketen rund um die Wiederaufarbeitungsanlage von La Hague installiert, diese aber wenige Monate später wieder abgezogen. Auch an deutschen AKW wurden damals etwa Vernebelungsanlagen installiert, um die Reaktoren vor Anschlägen aus der Luft zu sichern.
Doch auch diese bieten keinen Schutz vor einer weiteren Gefahr: Das Risiko von Cyber-Attacken auf die Anlagen steigt. Fast alle Atomkraftwerke sind zwar vor dem Internet-Zeitalter gebaut worden. Die fehlende Digitalisierung bot so einen natürlich Schutz vor Computer-Viren. Inzwischen sind aber zahlreiche Kontrollräume nachgerüstet, was wiederum Angriffsfläche für Hacker bietet.
Die eigentliche nukleare Schwachstelle machen Experten jedoch bei den zahlreichen Transporten von strahlendem Material aus. So pendelt beinahe täglich auf Europas Straßen beispielsweise das hochgiftige Plutonium zwischen verschiedenen Standorten der Nuklear-Industrie hin und her. Aber auch radioaktives Material aus Industrie und Medizin wird in Tausenden Lieferungen jedes Jahr quer über durch Europa verschickt. Kombiniert mit Sprengstoff könnte so eine sogenannte schmutzige Bombe entstehen. Die Radioaktivität wäre zwar wohl nicht sofort tödlich, aber eine Explosion könnte Panik auslösen und ganze Landstriche verseuchen. 1995 hatten tschetschenische Rebellen in einem Moskauer Park eine solche Bombe mit radioaktivem Cäsium platziert, aber nicht gezündet.
Seit Mitte der 90er Jahre hat die Internationale Atomenergie Behörde (IAEA) rund 2800 Fälle festgestellt, in denen radioaktives Material verschwunden ist. Zwar sagte IAEA-Generaldirektor Yukiya Amano, davon könne nur eine Handvoll für eine schmutzige Bombe genutzt werden. „Tatsächlich gab es bisher keinen größeren Terroranschlag mit radioaktivem Material. Aber das bedeutet nicht, dass es ihn niemals geben wird.“