Streit um Abschiebung entfacht Streit zwischen Taiwan und China

Peking/Taipeh (APA/dpa) - Auf chinesischen Druck schiebt Kenia 45 Taiwanesen nicht in ihre Heimat, sondern nach China ab. Taipeh spricht von...

Peking/Taipeh (APA/dpa) - Auf chinesischen Druck schiebt Kenia 45 Taiwanesen nicht in ihre Heimat, sondern nach China ab. Taipeh spricht von „Entführung“, Peking von „Ein-China-Politik“. Es steht viel auf dem Spiel.

Das ist ungewöhnlich für Gefängnisinsassen: Die inhaftierten Taiwanesen verbarrikadieren ihre Zellentür, um bloß nicht den Knast verlassen zu müssen. Mit Gewehrkolben brechen Polizisten die Tür auf und setzen sogar Tränengas ein, um die Gefangenen aus dem Bau zu holen. Die dramatischen Handy-Aufnahmen aus der Polizeistation in Nairobi laufen seit Tagen im taiwanesischen Fernsehen. Ähnlich die Bilder von der Ankunft mit dem Flugzeug aus Kenia in China: Wie verurteilte Schwerverbrecher werden die Taiwanesen in Handschellen mit Säcken über dem Kopf von Polizisten die Flugzeugtreppe heruntergeführt.

Um die 45 Abgeschobenen ist ein bizarrer diplomatischer Streit entbrannt, der das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Taiwan und China schwer belastet. Es ist ein denkbar schlechter Start für die Beziehungen zwischen der kommunistischen Führung in Peking und der neu gewählten taiwanesischen Präsidentin Tsai Ying-wen, die am 20. Mai ins Amt eingeführt wird und China kritisch gegenüber steht.

Wie es in den nächsten Monaten zwischen beiden Seiten weitergeht, ist höchst ungewiss. Aber es geht um viel: Die Zukunft der Kooperation zwischen der Inseldemokratie und der übermächtigen Volksrepublik steht auf dem Spiel - und damit auch die regionale Stabilität.

Worum geht es in dem heiklen Streit? Auf chinesischen Druck hat Kenia die Taiwanesen nicht in ihre Heimat, sondern nach China abgeschoben, wo sie verdächtigt werden, mit 32 ebenfalls ausgelieferten Chinesen an einem Telefonbetrug beteiligt gewesen zu sein. China ist ein wichtiger Kreditgeber des finanziell angeschlagenen afrikanischen Landes.

So sieht sich China juristisch zuständig für die Taiwanesen, weil es die Insel als seine Provinz betrachtet und die Opfer des Verbrechens in China leben. Obwohl aber zumindest 15 der Taiwanesen von einem Gericht in Nairobi freigesprochen wurden, bestand Peking auf deren Auslieferung. Allen soll der Prozess gemacht werden. „Sie mögen freigesprochen worden sein, aber sie sind nicht ohne Schuld“, liefert der Sprecher des Außenamtes, Lu Kang, eine eigenwillige Begründung.

Taiwan ist empört, spricht von „Entführung“ seiner Staatsbürger und fordert die sofortige Rückführung. Die Taiwanesen hätten in ihre Heimat abgeschoben werden müssen - genauso wie ein beteiligter Thailänder nach Bangkok abtransportiert worden sei. Auch klagt eine Mutter, ihr Sohn sei mit seinem Freund in Kenia nur im Urlaub gewesen und unschuldig in die Fänge der Polizei geraten. Einer der Taiwanesen ist zudem US-Staatsbürger, was für Peking aber nicht zählt.

Die Vorgänge zeigen einmal mehr, dass der Arm des chinesischen Sicherheitsapparates keine Grenzen kennt und länger geworden ist. Schon fünf Hongkonger Buchhändler, die heikle China-Bücher vertrieben hatten, hatten ihn zu spüren bekommen, indem sie unter dubiosen Umständen in China landeten. Einer hatte einen britischen Pass, der andere schwedische Papiere und verschwand aus dem Urlaub in Thailand.

Dass China mit seinem Vorgehen speziell Taiwans neue Präsidentin Tsai unter Druck setzen wollte, glauben wenige. Nach acht Jahren der Annäherung ihres chinafreundlichen Vorgängers Ma Ying-jeou drängt China aber die neue Präsidentin, den „Konsens von 1992“ anzuerkennen. Danach erkennt Taiwan an, dass es zu „einem China“ gehört, auch wenn beide Seiten unterschiedliche Ansichten akzeptieren, was darunter zu verstehen ist. Tsai, deren Fortschrittspartei DPP aus der Unabhängigkeitsbewegung stammt, will sich dazu lieber nicht äußern.

Mit hunderten von Raketen untermauert China seine Drohung, eine Wiedervereinigung notfalls auch gewaltsam durchzusetzen. Informierte Kreise in Peking berichten zudem, dass das Taiwanbüro des Staatsrates den Druck auf die vielen taiwanesischen Geschäftsleute in China erhöhen will, falls die neue Präsidentin nicht wie gewünscht auf Peking zugeht. „Sie wollen die Schrauben anziehen.“

Die 23 Millionen Taiwanesen, die immer weniger mit China zu tun haben wollen, wenden sich empört ab. „Peking hat jetzt 45 taiwanesische Bürger in Gewahrsam, aber damit verlieren sie mit Sicherheit die restlichen 23 Millionen“, sagt der China-Experte Gordon Chang.