Böhmermann-Affäre

„Kniefall vor Politiker, der Meinungsfreiheit mit Füßen tritt“

Jan Böhmermanns "Schmähkritik" am türkischen Präsidenten Erdogan erhitzte die Gemüter.
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Die Zustimmung Angela Merkels zu einem Gerichtsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen der Beleidigung Erdogans löst massive Kritik aus.

Berlin/Wien - Die Entscheidung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, strafrechtliche Ermittlungen gegen Satiriker Jan Böhmermann wegen seines Erdogan-Schmähgedichts zuzulassen, hat in Deutschland heftigen Protest ausgelöst. Sowohl SPD als auch Grüne distanzierten sich von Merkel, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) hält das Vorgehen für „absurd“.

Österreichische Journalistengewerkschaft ortet „Feigheit“

Als „Feigheit“ und „Kniefall vor einem Politiker, der die Meinungsfreiheit selbst mit den Füßen tritt“, bezeichnet Franz C. Bauer, Vorsitzender der österreichischen Journalistengewerkschaft, die Entscheidung. „Merkel stellt sich damit gegen einen Mitbürger, der seine Meinungsfreiheit für Kritik nutzt, und hinter einen türkischen Politiker, der Kritiker niederknüppeln lässt“, erklärte Bauer in einer Aussendung am Freitag. „Dass eine europäische Politikerin, die vor wenigen Monaten öffentlich ihre Bestürzung über den Anschlag auf Charlie Hebdo kundgetan hat, jetzt nicht bereit ist, für Meinungsfreiheit im eigenen Land einzutreten, wenn Druck von außen kommt, sollte jedem Europäer zu denken geben.“

Auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, kritisiert Merkels Vorgehen, ein gesondertes Strafverfahren zu ermöglichen. „Ich finde die Entscheidung falsch“, sagte er der Berliner Zeitung (Samstag-Ausgabe). „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet.“ Denn Erdogan habe ja auch als Privatperson Strafantrag gestellt. Dabei hätte man es belassen sollen, sagte Sofuoglu.

Erdogan-Partei: „Zweifellos die richtige Entscheidung“

Anderslautend war naturgemäß die Reaktion von Seiten der türkischen Regierungspartei AKP. „Diese Entscheidung ist zweifellos eine richtige“, sagte AKP-Sprecher Ömer Celik nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag in Ankara. „Eine Beleidigung unseres Präsidenten ist eine Respektlosigkeit gegenüber unserer Nation und unserem Staat.“

„Diese Verfolgungsermächtigung war völlig überflüssig und ohne Not“, erklärte dagegen der Rechtsanwalt Christian Schertz am Freitagabend. Er verwies darauf, dass Erdogan bereits als Privatperson einen Strafantrag gestellt hat und die Staatsanwaltschaft daher die Frage der Beleidigung ohnehin prüfen müsse. Die Erteilung der Verfolgungsermächtigung sei „rechtlich wie rechtspolitisch höchst bedenklich“.

Merkel hat „rechtliche Bewertung vorgenommen“

Das Verhalten Merkels füge sich ein zu ihrer Aussage, dass sie das Gedicht in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten bereits als „bewusst verletzend“ bewertet habe, erklärte der Anwalt. „Damit hat sie die Definition der Schmähkritik benutzt und eine rechtliche Bewertung vorgenommen, obwohl das der Justiz vorbehalten ist“, kritisierte er.

Merkel hatte ihre Entscheidung mit den engen und freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei begründet. Zudem sei es im Rechtsstaat Sache von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse-, Kunst-und Meinungsfreiheit abzuwägen. (tt.com, dpa/AFP/APA)