Brasiliens Abgeordnete streiten über Verfahren gegen Präsidentin
Brasilia (APA/AFP) - Brasiliens angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff kämpft vor der für Sonntag im Unterhaus angesetzten Abstimmung über...
Brasilia (APA/AFP) - Brasiliens angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff kämpft vor der für Sonntag im Unterhaus angesetzten Abstimmung über ihre Amtsenthebung um ihr politisches Überleben. „Sie wollen eine Unschuldige verurteilen und retten Korrupte“, schrieb die 68-Jährige in einer langen Kolumne für die Samstagsausgabe der Zeitung „Folha de São Paulo“.
Inzwischen machten Rousseffs Gegner und Anhänger auf der Straße mobil. In der am Freitag eröffneten Unterhausdebatte lieferten sich die Abgeordneten einen hitzigen Schlagabtausch. Der Generalstaatsanwalt José Eduardo Cardozo beklagte einen „Putsch“ gegen die Staatschefin. Während die Opposition empört auf den auch von der Präsidentin selbst immer wieder vorgebrachten Vorwurf reagierte, skandierten die Abgeordneten ihrer gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT): „Es wird keinen Putsch geben.“
„Dies ist ohne Zweifel ein historischer Prozess“, sagte Parlamentspräsident Eduardo Cunha, ein erklärter Rousseff-Feind von der rechtsliberalen Partei der demokratischen Bewegung (PMDB). Das Parlament stehe in der Pflicht, eine Entscheidung zu treffen, damit Brasilien wieder zur „Normalität“ zurückkehren könne. Der einstige Koalitionspartner PMDB, der mit Michel Temer auch den Vize-Staatschef stellt, drängt mit allen Mitteln an die Macht.
Cunha muss sich selbst im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras vor dem Obersten Gericht des Landes verantworten. In die riesige Bestechungsaffäre sind dutzende Abgeordnete, Gouverneure und frühere Wahlkampfmanager sowie Unternehmensführer verwickelt.
Ein großes Polizeiaufgebot sichere die Gegend um das Kongressgebäude während der dreitätigen Marathonsitzung ab. Metallsperren sollen die politischen Kontrahenten voneinander trennen. Rousseff wollte am Wochenende ihre Unterstützer im Nationalstadion Mané Garrincha in der Hauptstadt Brasília treffen. „Wir sind zur Verteidigung der Demokratie und der 2014 rechtmäßig gewählten Regierung gekommen“, sagt der 35-jährige Metallarbeiter Tiago Almeida, der bereits vor Tagen aus dem Bundesstaat São Paulo angereist war, um „seiner“ Präsidentin den Rücken zu stärken. Das Rousseff-Lager hoffte auf mehr als 100.000 Menschen im Stadion und im Unterstützercamp.
Mobilisierungen für und gegen Rousseff sind für Sonntag auch in anderen Städten geplant, darunter die Wirtschaftsmetropole São Paulo mit ihren zwölf Millionen Einwohnern und Rio de Janeiro, wo im August die Olympischen Spiele stattfinden.
Der Showdown endet vorläufig am Sonntagabend in der Abgeordnetenkammer. Stimmt mehr als ein Drittel (172 von 513 Abgeordneten) gegen ein Amtsenthebungsverfahren, behält die ehemalige Guerillakämpferin Rousseff ihr Mandat. Andernfalls wird das Oberhaus mit dem Verfahren befasst. Eine einfache Mehrheit der Senatoren reicht hier für ein „Impeachment“. In diesem Fall würde Rousseffs Amtsführung vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt.
Diese Phase kann der Senat für die abschließende Beurteilung ausschöpfen, ob die gegen Rousseff vorgetragenen Vorwürfe tatsächlich eine Absetzung der Präsidentin rechtfertigen. Nötig ist dann auch im Senat eine Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung. Kommt diese zustande, ist Rousseff ihr Amt los und ihr Stellvertreter Temer würde die Amtszeit zu Ende führen. Er würde bereits bei der vorübergehenden Suspendierung einspringen.
Die Regierung hatte im letzten Moment noch versucht, das drohende Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff zu verhindern. Doch das Oberste Gericht des Landes lehnte kurz vor Beginn der Parlamentsdebatte einen entsprechenden Eilantrag ab und ließ eine Abstimmung über die Amtsenthebung der Präsidentin zu.
Rousseff steht seit langem unter Druck und wird unter anderem für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich gemacht. Ihr wird zur Last gelegt, Haushaltszahlen geschönt und außerdem ihren Wahlkampf illegal mit Spenden von Zulieferern des staatlichen Ölkonzerns Petrobras finanziert zu haben.