Jelineks „Wut“ - Bejubelte Uraufführung in München

München (APA) - Elfriede Jelinek schrieb „Wut“ als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Ni...

München (APA) - Elfriede Jelinek schrieb „Wut“ als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Nicolas Stemann reagierte in seiner Uraufführung an den Münchner Kammerspielen, die am Samstag bejubelte Premiere gefeiert hat, auch auf jüngere Ereignisse, die dem Stück einen scheinbar dauerhaften aktuellen Bezug zu Teil werden lassen: Bataclan, Brüssel und Jan Böhmermann.

Stemanns Angebot, ihren Text zu erweitern, hatte die Autorin ausgeschlagen. Auch wenn sie es schon öfter getan habe, „Wut“ sei abgeschlossen und ohnehin lange genug, wie der Regisseur in einer kurzen Ansprache vor dem Stück verlauten ließ. Erweiterungen im Text hat Stemann dafür mit seiner Inszenierung vorgenommen. Die erste: eine „Karikaturenparty“. Jesus hat andere Götter (von Buddha bis zur obskuren Internetgottheit) zu einer Feier eingeladen. Alle sind gekommen, nur nicht der Mo, der ist aus politischen Gründen verhindert. Dafür ist aber eine Karikatur von Jan Böhmermann anwesend. Der Regisseur unterbricht die Party mit dem Einwand, die Karikatur deutlicher zu machen, es sei nur eine Karikatur, so wie die anderen auch. In Zeiten wie diesen kann man auf so etwas gar nicht oft genug hinweisen. Dann gehen die Türen auf.

Jelineks Stück ist zu komplex um es zu unterbrechen, deswegen sollen die knapp vier Stunden durchgespielt werden. Nach ca. zwei Stunden sind die Türen dennoch eine Weile geöffnet und das Publikum hat die Möglichkeit aufzustehen. Diesen Teil überbrückt Nicolas Stemann mit den Musikern Thomas Kürstner und Sebastian Vogel. Aktuelle Schlagzeilen werden besprochen und besungen. In der Zwischenzeit kehren einige Zuschauer wieder auf ihre Plätze zurück, andere nicht.

Im ersten Teil steht die Öffentlichkeit im Vordergrund. Vor allem durch den Einsatz von Live-Videoübertragungen an verschiedenen Leinwänden im Saal wird das unterstrichen. Alles muss heute gefilmt werden, denn es soll ja alles gesehen werden. Derartige Videoprojektionen gemischt mit Dialogszenen, Lesungselementen und Musik - mitunter auch alles gleichzeitig - lassen das Publikum die Reizüberflutung der heutigen Zeit deutlich spüren. Woran soll man bei einem derartigen Überangebot noch glauben und vor allem: an wen?

Doch es lässt sich letztlich immer alles auf die titelstiftende Wut reduzieren. Wütend sind alle und daraus handeln sie. Jelinek macht nicht nur Götter dafür verantwortlich, es reicht viel weniger, um Bewegungen wie die fremdenfeindliche Pegida, oder die Sympathie mit der Partei „Alternative für Deutschland“ auszulösen. Und damit ist man wieder beim Internet angekommen, dort wo jeder seinem Unmut in einem Shitstorm Luft machen kann. Das zeigt der Regisseur sehr anschaulich anhand einer sinnlosen Schlacht mit fliegenden Fäkalien.

Zum Schluss wird auch noch das Publikum geteilt. Zuerst werden alle herzlich auf die Bühne eingeladen, dann plötzlich der Einlassstop. Der Rest kann ja an den Videoleinwänden zumindest zusehen. Dieses Vorgehen kommt einem bekannt vor. Großen Applaus gibt es nach den knapp vier Stunden dennoch von beiden Seiten, bzw. von allen, die durchgehalten haben.

(S E R V I C E : Elfriede Jelinek - „WUT“, Uraufführung. Inszenierung: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Katrin Wolfermann, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video: Claudia Lehmann, Licht: Jürgen Tulzer, Dramaturgie: Benjamin von Blomberg. Auf der Bühne: Daniel Lommatzsch, Jelena Kuljic, Thomas Hauser, Julia Riedler, Annette Paulmann, Franz Rogowski, Zeynep Bozbay. Weitere Termine: 19. und 24. April, 8. und 26. Mai. Karten: www.muenchner-kammerspiele.de)