Brasiliens Präsidentin kämpft um politisches Überleben
Brasilia (APA/AFP) - Brasiliens angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff hat vor der für Sonntag (19.00 Uhr MESZ) angesetzten Abstimmung der...
Brasilia (APA/AFP) - Brasiliens angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff hat vor der für Sonntag (19.00 Uhr MESZ) angesetzten Abstimmung der Abgeordneten über ihre Amtsenthebung um ihr politisches Überleben gekämpft. „Sie wollen eine Unschuldige verurteilen und retten Korrupte“, schrieb die 68-Jährige in einer langen Kolumne für die Samstagsausgabe der Zeitung „Folha de Sao Paulo“.
Unterdessen machten Rousseffs Gegner und Anhänger auf der Straße mobil. In der am Freitag eröffneten Unterhausdebatte lieferten sich die Abgeordneten einen hitzigen Schlagabtausch. Der Generalstaatsanwalt Jose Eduardo Cardozo beklagte einen „Putsch“ gegen die Staatschefin. Während die Opposition empört auf den auch von der Präsidentin selbst immer wieder vorgebrachten Putsch-Vorwurf reagierte, skandierten die Abgeordneten ihrer gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT): „Es wird keinen Putsch geben.“
„Dies ist ohne Zweifel ein historischer Prozess“, sagte Parlamentspräsident Eduardo Cunha, ein erklärter Rousseff-Feind von der rechtsliberalen Partei der demokratischen Bewegung (PMDB). Das Parlament stehe in der Pflicht, eine Entscheidung zu treffen, damit Brasilien wieder zur „Normalität“ zurückkehren könne. Der einstige Koalitionspartner PMDB, der mit Michel Temer auch den Vize-Staatschef stellt, drängt mit allen Mitteln an die Macht.
Cunha muss sich selbst im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras vor dem Obersten Gericht des Landes verantworten. In die riesige Bestechungsaffäre sind dutzende Abgeordnete, Gouverneure und frühere Wahlkampfmanager sowie Unternehmensführer verwickelt.
Ein großes Polizeiaufgebot sicherte die Gegend um das Kongressgebäude. Ein fast ein Kilometer langer Metallzaun trennte die politischen Kontrahenten voneinander. Gegner der Präsidentin in grün-gelbem Outfit der Landesflagge schrien aus Leibeskräften: „Weg mit Dilma! Weg mit PT!“ Wenn es nach dem 55-jährigen Staatsbediensteten Carlos Arouck geht, ist Cunha „der Nächste, der wegen Korruption stürzt“. Aber Temer werde „dem Land Stabilität geben“.
In einem anderen Teil Brasilias riefen Rousseff-Anhänger mit roten PT-Fahnen Sprechchöre: „Es wird keinen Putsch, es wird Kampf geben!“ Die Staatschefin beschuldigte Temer in einem im Internet verbreiteten Video, Regierungspläne für Sozialprogramme streichen zu wollen.
Zu einer Solidaritätsveranstaltung für Rousseff beim Nationalstadion Mane Garrincha fanden sich etwas mehr als tausend Menschen ein. „Wir sind zur Verteidigung der Demokratie und der 2014 rechtmäßig gewählten Regierung gekommen“, sagte der 35-jährige Metallarbeiter Tiago Almeida. Er war bereits vor Tagen aus dem Bundesstaat São Paulo in die Hauptstadt gereist, um „seiner“ Präsidentin den Rücken zu stärken.
Mobilisierungen für und gegen Rousseff waren auch in anderen Städten geplant, darunter im Großraum der Wirtschaftsmetropole São Paulo mit seinen 20 Millionen Einwohnern und in Rio de Janeiro, wo im August die Olympischen Spiele stattfinden.
Der Showdown sollte vorläufig am Sonntagabend in der Abgeordnetenkammer enden. Stimmt mehr als ein Drittel (172 von 513 Abgeordneten) gegen ein Amtsenthebungsverfahren, behält die ehemalige Guerillakämpferin Rousseff ihr Mandat. Andernfalls wird das Oberhaus mit dem Verfahren befasst. Eine einfache Mehrheit der Senatoren reicht hier für ein „Impeachment“. In diesem Fall würde Rousseffs Amtsführung vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt.
Stimmt der Senat dann mit Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung, ist Rousseff ihr Amt los. Ihr Stellvertreter Temer würde das Mandat bis Ende 2018 ausüben. Bereits bei Rousseffs vorübergehender Suspendierung würde Temer einspringen.
Rousseff wird unter anderem für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich gemacht. Ihr wird zur Last gelegt, Haushaltszahlen geschönt zu haben.