Wiener Festwochen: Schauspielchefin „mit Intuition statt mit Konzept“
Wien (APA) - Das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen wird heuer von Marina Davydova verantwortet. Die 49-jährige aus Baku stammende The...
Wien (APA) - Das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen wird heuer von Marina Davydova verantwortet. Die 49-jährige aus Baku stammende Theaterexpertin ist selbst Festivalchefin. Ihr Festival NET (Neues Europäisches Theater) findet im November und Dezember in Moskau statt. Was ist der größte Unterschied zwischen den Festivals in Wien und Moskau? Davydova lacht: „Das Budget. Das ist hier etwa 50 mal so groß.“
Aber selbst mit dem dicksten Budget ließe sich nicht das eine, ultimative, allgemeingültige Festival programmieren, versichert Davydova im Gespräch mit der APA. „Wir sind alle auf der Suche nach möglichst viel gutem Theater. Aber es ist ein Unterschied, ob man für Publikum in Moskau, Wien oder, sagen wir, Avignon ein Festivalprogramm zusammenstellt.“ Von vornherein ein striktes Konzept zu haben, sei dabei eher hinderlich: „So etwas engt mehr ein, als dass es die Möglichkeiten erweitert. Man muss vor allem sehr viel reisen, sich sehr viel ansehen - aber mit Intuition und nicht mit Konzept.“
Eine einzige Sache hatte sie sich für Wien vorgenommen: „Ich wollte keinen geografischen Schwerpunkt. Theater ist keine nationale Angelegenheit.“ Grenzen spielen für die Schauspielchefin nur im Versuch ihrer Aufhebung eine Rolle - und dabei geht es ihr auch nicht um Länder-, sondern um Genregrenzen. „Im Leben hat man ohnedies viel zu viel mit Konventionen und Restriktionen zu tun. Theater sollte wie die Kunst überhaupt sich von diesen Einschränkungen befreien - und dabei Möglichkeiten aufzeigen, auch unser Leben zu verändern.“
In ihrem Programm findet sich Zirkus neben Performance, Figuren- und Objekttheater genauso wie Installationen oder Tanz, Text oder stummes Spiel. Anything goes. Was ist dann aber der gemeinsame Kern, der Theater definiert? Keine einfach Frage, findet die Schauspielchefin. Einerseits sei es das Publikum, das das Unverwechselbare des Theaters ausmache, andererseits der Live-Charakter: „Dass etwas hier und jetzt stattfindet und daher jedes Mal anders sein kann, ist das Wesen des Theaters.“
Als Theaterkritikerin, Chefredakteurin der Zeitschrift „TEATR“, Wissenschafterin, Kuratorin und Festivalleiterin ist sie ständig unterwegs und fast jeden Abend im Theater. Jene Vorstellungen, die sich als unvergessliche Erfahrungen erweisen, seien selten, gibt Davydova freimütig zu. „Aber mitunter sind es zehn tolle Minuten, die einen für alles andere entschädigen - pure, konzentrierte Augenblicke, in denen sich das manifestiert, an das wir alle glauben: das utopische, gesellschaftsverändernde Potenzial von Kunst.“
Welche Festwochen-Produktionen würde Marina Davydova jenen ans Herz legen, die sich nur zwei, drei Abende freimachen können? Die Frage sei ein wenig unfair, meint sie. „Natürlich würde ich am liebsten alles empfehlen. Das Programm ist ja ein Bouquet, da sollte man nicht einzelne Blumen herausnehmen. Außerdem gibt es viele Produktionen wie etwa jene von Kornél Mundruczó oder von SIGNA, die gerade erst entstehen, die ich also noch nicht gesehen habe.“
Einer ihrer Favoriten sei allerdings „Ein idealer Gatte“, eine sehr freie, auf das heutige Russland gemünzte Oscar Wilde-Interpretation, mit der Konstantin Bogomolov in Moskau Furore machte, gibt Davydova zu erkennen. Sie hat auch die ukrainische Gruppe Dakh Daughters Band („Roses“) eingeladen. Ein politisches Statement? „Alle Programmpunkte sind zunächst einmal künstlerische Statements. Wenn sich daraus auch ein politisches Statement ergibt, ist das wie ein Bonus“, sagt die Theaterfrau, für die eine Sondernummer ihres „TEATR“-Magazins über ukrainisches Theater das Aus öffentlicher Förderungen bedeutet hat und deren Äußerungen im Westen mit Argusaugen verfolgt werden.
„Ich definiere mich nicht in erster Linie als Russin, sondern als Russisch sprechende europäische Intellektuelle. Das wird in meinem Land, in dem gerade eine große konservative Umwälzung stattfindet, nicht gerne gesehen. Offiziell gibt es keine Zensur. Aber es gibt die seltsamsten Allianzen von klerikalen und konservativen Kreisen, die intellektuelle und moderne Menschen als ihre Hauptfeinde sehen.“
Timofei Kuljabin, der mit „Drei Schwestern“ erstmals bei den Wiener Festwochen gastiert, erlebte etwa gegen seine „Tannhäuser“-Inszenierung in Nowosibirsk ein reaktionäres Kesseltreiben, das zur Absetzung der Produktion und des Operndirektors führte. Wie muss man da den späten Regiewechsel bei der Festwochen-Inszenierung von „Fidelio“ interpretieren, bei dem Anfang April Dmitri Tcherniakov durch Achim Freyer ersetzt wurde? Offiziell hieß es, Tcherniakov sei mit seinen Vorarbeiten zu sehr in Verzug geraten. Das sei auch so, versichert Davydova, da gebe es gar keinen politischen Hintergrund. Tcherniakov sei ein ganz und gar unabhängiger Künstler, auf den russische Behörden keine Einflussmöglichkeiten hätten.
Mitte Juni geht Davydovas anstrengende, aber anregende Wiener Zeit zu Ende. Was sind ihre nächsten beruflichen Pläne? Im Jänner werde sie ein Projekt in Berlin realisieren, sagt sie, möchte aber noch nicht allzu viel verraten. Nur soviel: Erstmals wird sie dabei nicht als Kuratorin, sondern als Regisseurin in Erscheinung treten.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Wiener Festwochen, 13. Mai bis 19. Juni, www.festwochen.at)