Schmerzhaft: Filip Davids „Haus des Erinnerns und des Vergessens“

Wien (APA) - „Das Haus des Erinnerns und des Vergessens“, das dem Roman von Filip David seinen Namen gibt, steht in New York. Dort kann der ...

Wien (APA) - „Das Haus des Erinnerns und des Vergessens“, das dem Roman von Filip David seinen Namen gibt, steht in New York. Dort kann der Protagonist Albert Weisz auf einem Bildschirm die Schlüsselszenen seines Lebens abrufen. Im daneben gelegenen „Raum des Vergessens“ könnte er alles, was ihn quält, löschen, doch „dieser Schmerz ist all das, was er selbst ist, ohne diesen Schmerz existiert er nicht“.

Es ist ein schmerzhaftes Erinnerungsbuch, das der 1940 geborene serbische Literaturwissenschafter, Autor und Dramaturg Filip David, der lange das Theaterprogramm des Belgrader Fernsehens leitete, vorgelegt hat. Der Roman, für den David 2014 mit dem Preis der Wochenzeitung NIN und dem Mesa-Selimovic-Preis ausgezeichnet wurde, ist nach Übersetzungen in zahlreiche andere Sprachen sein erstes Buch das auf Deutsch übertragen wurde. Johannes Eigner, seit 2012 österreichischer Botschafter in Serbien, hat für den Wieser Verlag die Übersetzung besorgt.

Viele Schichten werden in diesem Buch übereinandergelegt, Tagebucheinträge, Zeitungsmeldungen und Briefwechsel sind darunter. Nicht immer weiß man dabei Erinnerung und Gegenwart, Realität und Fantasie voneinander zu unterscheiden. Es geht um die Natur des Bösen. Warum geschieht es? Wie sieht es aus? Ist es überwindbar? Ist es bloß banal, wie es Hannah Arendt postuliert hat? Und verliert es dann seinen Schrecken?

Die Urszene, auf die immer wieder zurückgegangen wird, findet 1942 statt: Der 7-jährige Albert Weisz wird mit seinem kleinen Bruder Elijah von seinen Eltern auf dem Transport nach Auschwitz in eisiger Winternacht aus dem Zug geworfen. Die einzige Chance, die Kinder vor dem Leiden und der Vernichtung in den Lagern zu bewahren. Doch Albert scheitert an dem Auftrag, seines Bruders Hüter zu sein, findet Elijah nicht mehr und lädt damit eine Schuld auf sich, die ihn ein Leben lang verfolgen wird: „Ich hatte meinen geliebten Bruder verraten. Ich hatte meine Mutter und meinen Vater verraten. Ich heulte vor Schmerz, alleine in der endlosen Weiße, mit dem einzigen Wunsch einzuschlafen, zu sterben und nie mehr wieder aufzuwachen.“

Auch Solomon Levi, Mischa Wolf und Uriel Kohn, gemeinsam mit Weisz zu den letzten lebenden Zeugen des Holocaust zählend, haben durch abenteuerliche Umstände überlebt, und alle hadern sie mit ihrem Schicksal. Sie haben die mannigfaltige Gestalt des Bösen erlebt und spüren am eigenen Leib und am eigenen Leiden, dass es eine Macht hat, die jahrzehntelang nachwirken kann.

„Das Haus des Erinnerns und des Vergessens“ hat viele verschachtelte, verwinkelte Räume und noch mehr dunkle Ecken, in denen Schrecken lauern, die ihren Ursprung in der Natur des Menschen haben. Das macht Filip Davids Buch auch für den Leser zu einer Herausforderung. Man sollte sich ihr stellen. Auch wenn sich diese verzweifelte Anklage gegen Unbekannt richtet, weiß man heute mehr denn je, dass Vergessen zumindest für die Nachgeborenen nicht heilt und nichts verbessert. Erinnern heißt dagegen auch: sich wappnen für das Kommende.

(S E R V I C E - Filip David: „Das Haus des Erinnerns und des Vergessens“, Wieser Verlag, 156 S., 21 Euro)