Terrorismus ist keine 2 - Grundrechtseinschränkungen schädlich

Wien (APA) - Der Wiener Sozialpsychiater Johannes Wancata (MedUni Wien/AKH) fasste die psychosozialen Hintergründe für Radikalisierung und T...

Wien (APA) - Der Wiener Sozialpsychiater Johannes Wancata (MedUni Wien/AKH) fasste die psychosozialen Hintergründe für Radikalisierung und Terror so zusammen: „Es gibt keine Krankheit, die zu Terrorismus führt. Terroristen sind nicht krank, sie sind zumeist gesund und sogar sehr gesund.“ Es handle sich nicht um Krankheit, sondern um Verhaltensweisen.

Umgekehrt könne man an der Reaktion von Politik und Öffentlichkeit auf den Terrorismus den Zustand der Gesellschaft ablesen - auch den Erfolg, den solche Gewaltakte haben. „Terrorismus ist eine Form der psychologischen Kriegsführung“, betonte Wancata. Terrorakte zielten über das Leid der direkt Betroffenen hinaus und seien geplant, um die gesamte Gesellschaft zu treffen.

Der Sozialpsychiater warnte vor falschen Reaktionen auf die Terrorgefahr: „Wenn wir uns auseinanderdividieren lassen, hat der Terrorismus das erreicht, was er wollte. Wenn wir Reisefreiheit, Pressefreiheit und die Grundrechte eingeschränkt haben, haben die Terroristen Erfolg gehabt.“ Die Linzer Gerichtsmedizinerin Adelheid Kastner sprach von einer „Radikalisierung der Mehrheitsbevölkerung“ als Konsequenz überzogener Terror- und Migrationsängste.

Das gleiche gilt laut den Experten auch für Einschränkungen im Asylwesen und bei der finanziellen Absicherung der Kriegsflüchtlinge. Der in der interkulturellen Psychiatrie aktive Psychiater Thomas Stompe (MedUni Wien/AKH) warnte: „Die Idee, Asyl nur für drei Jahre zu geben, behindert die Integration. Es ist ein Teufelkreis, in den wir da geraten.“

Adelheid Kastner definierte vier Typen von Personen, die für Rechtsradikalismus wie für Radikalismus insgesamt anfällig seien: „Da sind erstens gewaltbereite Menschen, die ‚etwas erleben‘ wollen, Personen auf der Suche nach einer Idee, die sie ausleben können. Dann ist da die Gruppe der Mitläufer, die sich unreflektiert der Position eines Leithammels anschließen. (...) Relativ klein ist jene Gruppe, die wirklich eine Idee transportieren will. Und dann sind da die psychisch Kranken im engeren Sinn. Sie meinen, alle Menschen denken so wie sie.“

Der norwegische Massenmörder Anders Breivik falle wohl in die Kategorie jener, die „ihren Wahn“ ausleben würden. Auch der Bombenbauer Franz Fuchs hätte am Ende wohl zu dieser Gruppe gehört, meinte die Linzer Gerichtspsychiaterin. Rechtsradikalen sei oft die völlig falsche Vorstellung gemein, die Bevölkerung würde im Grunde auf ihrer Seite stehen. Aber, wie die Expertin betonte: „Es besteht zwischen Rechtsradikalen und anderen Radikalen kein wesentlicher Unterschied.“

Die Frage ist, wie man potenziell von Radikalisierung gefährdete Kinder und Jugendliche frühzeitig finden und ihnen helfen könnte. Die Wiener Expertin Gabriele Wörgötter führte an, dass vor allem in der Schule Auffälligkeiten bemerkt werden sollten. Dazu gehörten auch Schulabsenzen und sozialer Rückzug.

Mangelnde Unterstützung und Hilfe für sozial Benachteiligte waren jedenfalls bei einigen Fällen, welche die Psychiaterin begutachtete, gegeben. „Einer wurde in die Sonderschule abgeschoben und hat darunter gelitten. Sein einziger ‚Fehler‘ war, dass er türkische Eltern hatte, die das akzeptierten.“ Der Bursch hätte sich ständig wegen Faktums der Sonderschule geschämt und sei in die Isolation geraten. In einem zweiten Fall sei den völlig insuffizienten Eltern die Obsorge über ihren Sohn entzogen worden. „Im Alter von zwölf Jahren hat er gesagt, er will zum Islam übertreten. Und das Jugendamt stimmt zu.“

In einem dritten Falle hätte man der des Deutschen nicht mächtigen verzweifelten Mutter eines Jugendlichen, der nur IS-Gewaltvideos anschaute, in Niederösterreich einfach eine „Visitenkarte“ in die Hand gedrückt mit jener Stelle, an die sie sich in Wien mit ihren Sorgen wenden könne. Die Frau sei damit schlicht überfordert gewesen. Schließlich sollten laut den Fachleuten auch Äußerungen von Jugendlichen in sozialen Medien aufmerksam gelesen werden. Oft komme es nämlich im Lauf eines drohenden Abgleitens in die Radikalisierung zu einem „Leaking“, also zum Verbreiten von Indizien für eine solche Entwicklung.