Erbitterter Feind der US-Besatzer wird zum Vorkämpfer für Reformen

Bagdad (APA/AFP) - Seit Monaten gibt sich Schiitenführer Muqtada (Muktada) al-Sadr als oberster Reform-Antreiber im Irak. Unter den Demonstr...

Bagdad (APA/AFP) - Seit Monaten gibt sich Schiitenführer Muqtada (Muktada) al-Sadr als oberster Reform-Antreiber im Irak. Unter den Demonstranten, die am Wochenende das Regierungsviertel und das Parlament in Bagdad stürmten, waren viele seiner Anhänger. Schon mehrfach hat der Spross aus einer der einflussreichsten religiösen Familien die Geschicke seines Landes mitgeprägt.

Bei einem Auftritt in der heiligen Stadt Najaf hatte al-Sadr am Samstag das abermalige Scheitern des schiitischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi verurteilt, eine über Vetternwirtschaft und - auch religiösen - Klientelismus erhabene Regierung zu bilden. Schon vor einigen Wochen hatte er damit gedroht, die „Grüne Zone“, jenen schwer gesicherten Regierungsbezirk in Bagdad, durch seine Anhänger stürmen zu lassen. Der Boden für die Eskalation war also bereitet, auch wenn al-Sadr am Samstag nicht ausdrücklich zum Sturm auf das Parlament geblasen hatte.

Stets zeigt al-Sadr sich mit schwarzem Turban als Abkömmling des Propheten. Rundes Gesicht, grauer Bart, unergründlicher Blick. Geboren wurde er in den 70er Jahren in Kufa südlich von Bagdad. Seinen Vater Mohammed Sadiq al-Sadr, ein Held des Schiitentums, hatte der sunnitische Diktator Saddam Hussein 1999 umbringen lassen.

Ab 2003 wurde Muqtada al-Sadr zum Anführer des schiitischen Widerstandes gegen die US-Besatzung - obwohl der Krieg der Beherrschung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit durch die sunnitische Minderheit ein Ende gesetzt hatte. 2004 gründete er die Mahdi-Armee, die zur stärksten irakischen Miliz wurde und über 60.000 Kämpfer verfügte. Bei Gefechten in Najaf im selben Jahr siegten letztlich die US-Truppen, doch konnte die Mahdi-Armee ihren Ruf festigen. Lange hielten die US-Generäle den Geistlichen für die größte Gefahr für die Stabilität des Irak.

Allerdings zog sich al-Sadr vorübergehend in die heilige iranische Stadt Qom zurück, um sich in religiöse Studien zu vertiefen. Als es dann in seiner Bastion Sadr City (Madinat al-Sadr) in Bagdad 2008 zu wochenlangen Gefechten seiner Anhänger gegen irakische und US-Soldaten kam, beendete er schließlich diesen Einsatz seiner Truppen. Fortan bekämpfte er die Besatzer mit seiner Stimme.

Parallel dazu mischte er in der irakischen Politik mit, beteiligte sich vorübergehend an der Regierung Nuri al-Malikis. 2010 spielte er eine Schlüsselrolle, um das Land aus der Krise zu holen, in die es durch die Unfähigkeit der etablierten Parteien geraten war, eine stabile Regierung zu bilden. Obwohl al-Maliki 2008 seine Mahdi-Armee erbittert bekämpft hatte, stützte er ihn nun. Ein befristetes Zweckbündnis, das zwei Jahre später schon wieder zerbrach, als al-Sadr erfolglos versuchte, al-Maliki im Parlament zu Fall zu bringen.

Seither wechselten Abschnitte, in denen sich der Geistliche auf seine religiösen Studien konzentrierte, und politisch aktive Phasen. So rief er seine Gefolgsleute im März auf, „die Korruption und die Korrupten zu eliminieren“. Zwei Wochen kampierten sie vor der „Grünen Zone“, um die Reformen einzufordern, die al-Malikis Nachfolger al-Abadi versprochen hat. Am 27. März begab sich al-Sadr selbst dorthin, um den Druck zu erhöhen.

Der Politologe Ahmed Ali von der amerikanischen Universität im Irak urteilt: „Al-Sadr ist sehr beliebt in der schiitischen Bevölkerung, und er nutzt den Vorteil, um den Erfolg seiner Bewegung zu festigen.“