„Princeton 66“: Unterhaltsame Rückschau auf den legendären Ausflug

Wien (APA/dpa) - An der renommierten amerikanischen Princeton-University rechnete 1966 ein literarischer „Jungspund“ namens Peter Handke mit...

Wien (APA/dpa) - An der renommierten amerikanischen Princeton-University rechnete 1966 ein literarischer „Jungspund“ namens Peter Handke mit der seiner Meinung nach „läppischen und idiotischen“ Arbeit vieler seiner Kollegen ab. „Princeton 66 - Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47“ heißt das Buch von Jörg Magenau (Klett-Cotta Verlag) über den mittlerweile legendären Ausflug der westdeutschen Autorenvereinigung.

„Das große Auswärtsspiel der deutschsprachigen Literatur in Amerika“, heißt es in der Verlagsankündigung. Es war ein Jahr vor dem dann schon von der Studentenrebellion geprägten Treffen in der fränkischen „Pulvermühle“ - ein Höhepunkt und der Anfang vom Ende der „Gruppe 47“ nach 20 Jahren.

1966 reisten etwa 80 Autoren, meist Männer, die ihre Gattinnen mitbringen durften, sowie Verleger und Kritiker nach Princeton, darunter neben Handke auch Günter Grass, Siegfried Lenz, Peter Weiss, Uwe Johnson, Erich Fried, Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki. Heinrich Böll und Martin Walser blieben zu Hause und hatten ein Treffen im „nächstbesten Bundeskaff“ vorgeschlagen, wie es bisher Gruppen-Tradition war. DDR-Autoren waren auch eingeladen, erhielten aber keine Ausreisevisa. Die Autoren sollten vom ostdeutschen Schriftstellerverband benannt werden, was der „Gruppenchef“ Hans-Werner Richter ablehnte, da eine Teilnahme an den Gruppentagungen immer nur auf seine persönliche Einladung möglich war.

Die Anreise nach Princeton erfolgte per Flugzeug oder mit dem Schiff. Einige Verleger hatten davor gewarnt, alle Autoren für einen einzigen Flug zu buchen, „das erschien ihnen zu riskant“, wie Magenau schreibt. Im Unglücksfall hätte der eine oder andere Verlag über Nacht ohne seine umsatzstärksten Autoren da gestanden. Wie sich zeigte, war allerdings auch die Schiffspassage nicht ohne Risiko. Grass geriet mit seinem Dampfer „Michelangelo“ in einen heftigen Sturm, der auf dem Schiff drei Todesopfer forderte.

Unter den Autoren hatte es Vorbehalte gegeben, in ausgerechnet jenes Land einen „Klassenausflug“ zu unternehmen, das einen umstrittenen Krieg in Vietnam führte, zu deren Gegnern auch viele Schriftsteller gehörten. Und obwohl Richter seinen Gastgebern von der Princeton-University (die das Treffen neben der Ford-Foundation finanzierte) zugesichert hatte, dass die Gäste sich in den USA nicht öffentlich politisch äußern würden, ließ es sich ein Autor wie Peter Weiss nicht nehmen, der „New York Times“ ein entsprechendes Interview zu geben. Hauptsächlich ging es aber, wie es bei der „Gruppe 47“ üblich war, um die von den Autoren selbst vorgetragenen und zur Diskussion gestellten eigenen Werke.

Diese mehrtägige „Autoren-Performance“ gibt Magenau chronologisch mit historischen Einschüben über die Geschichte der „Gruppe 47“ in launigem Ton wieder. Das liest sich wie ein Augenzeugenbericht. Dabei hat Magenau schwere Archivarbeit geleistet, wobei er sich auf alle verfügbaren Quellen gestützt hat, darunter das in der Berliner Akademie der Künste befindliche Archiv von Gruppenchef Richter und die von der Princeton University ins Netz gestellten Tonbandprotokolle der Tagung von 1966. Ihm gelingt dabei eine Mischung aus Reisebericht, Kulturhistorie und jüngerer deutscher Literaturgeschichte.

Magenau beleuchtet oft nicht ohne Ironie die Auftritte der „Edelfedern“ samt Eitelkeiten und manchen Gehässigkeiten unter den Zuhörern, die ja gleichzeitig die Kritiker des Gehörten waren. Etwas befremdlich lesen sich dabei allerdings manche eher entbehrlichen Beschreibungen. Handke, den manche in Princeton „das Mädchen“ nannten, attestiert Magenau eine „katholische Internatsverklemmtheit“ und die „schmächtige Statur eines Kleiderbügels“, Walter Höllerer (vom Literarischen Colloquium am Wannsee) das Aussehen einer „getrockneten Eule“. Oder wenn Magenau vom „gut geölten Joachim Kaiser“ und dem „immer breiter werdenden Erich Fried“ schreibt. Entbehrlich.

Abgesehen von seinem eher unscheinbaren Aussehen trumpfte der damals 23-jährige Handke, der bald nach Princeton mit seinem Anti-Theater-Stück „Publikumsbeschimpfung“ die Theaterszene und -zuschauer verstören sollte, in der „Gruppe 47“ mit seiner Tirade gegen die westdeutsche Gegenwartsliteratur auf. „Handke ereignete sich“, schreibt Magenau dazu im Versuch, das außergewöhnliche Geschehen damals auf den Punkt zu bringen. Handkes Auftreten sei der Beweis dafür gewesen, „dass es durchaus möglich ist, sowohl schüchtern als auch - und zwar gleichzeitig - hochnäsig zu sein“. Es war im Grunde eine vorweggenommene Publikumsbeschimpfung mit Schriftstellerkollegen als Adressaten.

„Ich bemerke, daß in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht“, legte der Newcomer los und monierte, dass eine „ganz, ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur“ angebrochen sei. Diese Prosa könne man „ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben“, das sei eine „völlig läppische und idiotische Literatur“. Magenau versucht sich an dieser Stelle als Amateurpsychologe, wenn er meint, Handkes Aggression sei „zugleich eine Autoaggression“ gewesen, also auch gegen sich selbst gerichtet, und „vielleicht eine verborgene Einsicht ins eigene Ungenügen“. Aber die Ausfälle nahm damals niemand so richtig ernst, es kam sogar Heiterkeit im Saale auf. Grass spürte nach Ansicht Magenaus, dass ihm da mit dem lautstarken „Grünschnabel“ eine neue Konkurrenz erwuchs, „im Bereich der Publicity und im Selbstvermarktungsgeschick“.

Nach Magenaus Einschätzung war die Literatengruppe, die sich einmal als Werkstatt und Kollegengespräch verstanden habe, in eine „PR-Maschine“ umgeschlagen, ein Instrument des Literaturbetriebs. Zur nächsten - und regulären letzten - Tagung der „Gruppe 47“ in der fränkischen „Pulvermühle“ 1967 kam Handke nicht mehr. Ihre Auflösung hatte begonnen, die „Gruppe 47“ hatte ihre Aufgabe im Nachkriegs(west)deutschland erfüllt. Eine neue gesellschaftspolitische Zeitrechnung sollte im allgemeinen Sprachgebrauch bald folgen - die „68er“ und „nach 68“.

(S E R V I C E - Jörg Magenau: „Princeton 66 - Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47“. Klett-Cotta Verlag, 224 S., 20,40 Euro)