Ein Großbürger auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten
Maria Schrader gelang mit Josef Hader als Stefan Zweig für ihre Filmbiografie „Vor der Morgenröte“ ein Besetzungscoup.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Im Jockey-Club von Rio de Janeiro bittet im August 1936 der brasilianische Außenminister zum Festbankett, um den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig (Josef Hader) zu feiern. Noch ist der Saal leer, die Kamera zeigt die Totale, zeigt, wie sich die Tafel für 50 prominente Dinnergäste unter den Dekorationen biegt. Die Flügeltüren werden geöffnet, der Minister führt den Dichter zum Ehrenplatz, während die Gäste die Tischkarten studieren. Es beginnt die von einer Dolmetscherin ins Dichterohr übersetzte Lobhudelei nach den Regeln des Protokolls, Zweig bedankt sich artig auf Französisch, die Servierkräfte warten auf ein Zeichen. Ähnlich virtuose Plansequenzen in einer einzigen starren Einstellung sind im Kino äußerst selten geworden, da schon der Fehler eines Kleindarstellers eine Wiederholung verlangt.
Maria Schrader zeigt mit dieser Eröffnung zu „Vor der Morgenröte“, dass sie weder Kosten noch Mühen scheut, um ihrem Protagonisten Stefan Zweig gerecht zu werden, denn der Wiener Großbürger und weltweit gerühmte Autor war mit solchem Zeremoniell durchaus vertraut. Zweig hatte Deutschland und Österreich 1934 verlassen, nachdem seine Bücher von den Nazis verbrannt worden waren. Als Jude hätte er noch in Österreich bleiben aber nicht mehr als Großschriftsteller wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger publizieren können.
Für die zweite Plansequenz versammelt die Regisseurin 80 Schriftsteller aus 50 Nationen zum PEN-Kongress in Buenos Aires im September 1936. Mit zurückhaltender Verachtung verfolgt Zweig vom Podium aus die Rede des deutschen Schriftstellers Emil Ludwig (Charly Hübner), der die Zustände in Nazi-Deutschland beschreibt, über die sich „aus sicherer Distanz“ zu äußern, sich Zweig weigert. „Mich ekelt dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten“, wird er an seine Frau Friderike schreiben.
In der dritten Episode sind fünf Jahre vergangen, Zweig ist mit seiner ehemaligen Sekretärin Lotte (Aenne Schwarz) verheiratet, die ihn auf einer, sich über Monate hinziehenden Lesereise durch Brasilien begleitet. Anfang des Jahres 1941 besucht Zweig (in der vierten Episode) mit Lotte seine erste Frau Friderike (Barbara Sukowa) in New York, um sich Verlagsangelegenheiten und Bittgesuchen europäischer Kollegen zu widmen. Es werden prominente Autorennamen aufgesagt, berühmte Bücher erwähnt, nur von Stefan Zweig ist trotz des Besetzungscoups mit Josef Hader nichts zu spüren. Maria Schrader und ihr Koautor Jan Schomburg können jeden Satz belegen, doch diese ehrbare Zurückhaltung verhindert gerade in den Momenten existenzieller Verzweiflung jede Annäherung an den Menschen Zweig, der den Vorgang in „Sternstunden der Menschheit“ so beschrieben hat: „Kein Künstler ist während der ganzen vierundzwanzig Stunden seines täglichen Tages ununterbrochen Künstler; alles Wesentliche, alles Dauernde, das ihm gelingt, geschieht immer nur in den wenigen und seltenen Augenblicken der Inspiration.“ Es sind genau diese seltenen Augenblicke, die dem Film fehlen. Wenige Tage vor seinem Selbstmord, im Feber 1942 in Petrópolis, erwähnt Zweig gegenüber dem befreundeten Journalisten Ernst Feder (Matthias Brandt) nur nebenbei die Fertigstellung seiner „Schachnovelle“. Feder ist es auch, der Zweigs Abschiedsbrief vorliest, während das tote Ehepaar Zweig im Spiegel des Kleiderkastens zu sehen ist. Diese ebenfalls in einer Einstellung gedrehte Schlusssequenz macht mehr sichtbar als die vorhergehenden zwei Stunden.