Film und TV

Das Leben, rückwärts betrachtet

© Polyfilm

Laurie Anderson schreibt in „Heart of a Dog“ einen Liebesbrief an Lou Reed und liefert damit ein beglückendes Kinoerlebnis.

Innsbruck –Mit der Gründung des Österreichischen Filmmuseums wollte der Experimentalfilmer Peter Kubelka auch seinen Traum von der Gleichberechtigung aller Formen filmischen Schaffens realisieren. Kein Vertreter des Erzählfilms sollte auf Animations-, Musik-, Dokumentar-, Kurz- oder Essayfilmkünstler hinabsehen. Was sich im musealen Bereich durchsetzen konnte, zeigt Laurie Anderson nun mit „Heart of a Dog“ in einem einzigen Film. Die Probleme mit der Zuordnung zeigten sich nach der Uraufführung beim Filmfestival in Venedig, als es „Heart of a Dog“ bloß auf die Oscar-Shortlist der besten Dokumentarfilme schaffte. Dabei ist Andersons Film eine beglückende Kinoerfahrung.

Laurie Anderson, auch als Performancekünstlerin und Musikerin eine Grenzgängerin, die 1981 mit „O Superman“ die internationalen Hitparaden eroberte, erzählt und assoziiert über Liebe, Verlust und Trauer. „Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden“, zitiert Anderson den dänischen Philosophen Kierkegaard. Da „das Leben aber vorwärts gelebt werden muss“ passt sich die Laufrichtung der Bilder an. Der dramaturgische Bogen ist das Leben der Terrier-Hündin Lolabelle, die sich im Tonstudio mit ähnlicher Begeisterung wie Anderson 70-mal eine Tonschleife anhören konnte. Bei einem Spaziergang wurde Lolabelle von einem Falken attackiert, woraufhin das Tier, wie die New Yorker nach 9/11, neue Verhaltensweisen angenommen hat. Die letzten drei Jahre ihres Lebens hat Lolabelle in vollkommener Blindheit verbracht und, angeleitet von einer Trainerin, eine erfolgreiche Karriere als Konzertpianistin begonnen.

Nach dem Tod bleiben einer Seele 49 Tage, wird im tibetischen Totenbuch behauptet, den richtigen Ausgang zu finden. Einen wesentlichen Anteil daran hat die Lektüre, die der wandernden Seele vorgelesen wird. Das erinnert Anderson an ihre Jugend in Chicago, als sie nach einem Unfall mit gebrochenem Rückgrat zwei Jahre in einem Stahlgestell – „wie John F. Kennedy“ – verbringen musste und dabei mit Büchern belästigt wurde, die ihrem Alter, aber längst nicht mehr ihrem Intellekt entsprachen. Das Familienleben dokumentiert Anderson mit zerkratzten Super-8-Filmen, die sie als „das wildeste von sieben Kindern“ zeigen. In den Aufnahmen der vergangenen Jahre ist ihr Ehemann Lou Reed zu sehen, dem „Heart of a Dog“ nicht nur gewidmet ist – es ist auch der Text, der den 2013 verstorbenen Popstar für 49 Tage lenken sollte. (p.a.)

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