Alles rechtens, aber nichts gerecht
Amüsant erzählt und zutiefst verstörend: Joseph O’Neills starker Roman „Der Hund“ über einen einsamen Anwalt in Dubai.
Von Friederike Gösweiner
Innsbruck –Eine Einladung nach Dubai zu einer Lesung aus seinem Roman „Der Hund“ (The dog, 2014) wird der irisch-türkisch-stämmige Autor Joseph O’Neill, Jahrgang 1964, wohl kaum jemals mehr erhalten, obwohl das neue Buch des Wahl-New-Yorkers, dessen erster Roman Netherland (2008) ein mehrfach ausgezeichneter internationaler Bestseller war, im Arabischen Emirat spielt. Aber Dubai ist bei O’Neill nicht das hypermoderne, superreiche, perfekte „Fusion Product“ aus Tausendundeiner Nacht und westlichem Hightech, als das es sich gern präsentiert, sondern ein Land, vor dem man sich nur fürchten kann, in dem nepalische Bauarbeiter wöchentlich in den Tod springen, Putzfrauen keinen Dirham Trinkgeld annehmen dürfen und eine willkürlich agierende Justiz drakonische Strafen verhängt. Und jeder weiß das, aber keiner tut etwas dagegen. So auch nicht X, der Ich-Erzähler in „Der Hund“, dem sein Opportunismus im Roman allerdings zum Verhängnis wird.
Nach der Trennung von Jenn kommt für den New Yorker Wirtschaftsanwalt X das überraschende Angebot seines alten Freundes Eddy Batros, für dessen Familie als „Family Officer“ in Dubai zu arbeiten, gerade recht. Sein neuer Job besteht vornehmlich darin, eingehende E-Mails, deren Inhalt er oft nicht versteht, firmenintern zu verteilen sowie als Treuhänder Schriftstücke über die Geldbewegungen der Batros Foundation, die weltweit großzügig Spenden an karitative Einrichtungen verteilt, zu unterschreiben. Der Arbeitsaufwand hält sich also in Grenzen, sodass X genügend Zeit bleibt, um sich allerlei Gedankenspielereien hinzugeben. Leidenschaftlich formuliert er im Kopf Wut-E-Mails, stellt ausgeklügelte Überlegungen zu Rechtsproblemen an und legt damit im Roman schrittweise offen, wie ungerecht es in unserer Gesellschaft im allgemeinen und in der Dubaier Society im Besonderen zugeht und wie erschreckend selbstverständlich alle das hinnehmen.
Sosehr X in Gedanken die Welt verbessert und anklagt, im realen Leben setzt er auf eine Neutralitätspolitik gemäß dem Credo „Ich ergreife nicht Partei“ und vertreibt sich die Zeit mit harmlosen Späßen wie Pediküre, Tauchen oder seinem Massagesessel „Pascha“. Zudem bastelt er an Haftungsausschlussklauseln und bestellt Stempel, die ihn von jeder juristischen Verantwortung dessen, was er da alles unterzeichnet, entheben sollen, denn längst ahnt er Schlimmes. Und das zu Recht: Die Batros Foundation wird der Geldwäscherei bezichtigt. Doch muss X am Ende erkennen, dass ihm bei dem Spiel, in das er geraten ist, auch die eigene juristische Spitzfindigkeit samt Stempel nicht hilft ...
Ein „Hund“ ist im Arabischen so viel wie ein Prügelknabe. Genau das ist X, der Millionärslakai, ein harmloser Durchschnittsjurist, den O’Neill als eine Art Jedermann auf allen Ebenen scheitern lässt in einem klug konzipierten, amüsant erzählten, sprachlich einwandfreien Roman, der gnadenlos abrechnet mit einer ultrakapitalistischen, skrupellos-egoistischen und völlig korrupten Gesellschaft, aus der es im Grunde – und das ist das Schlimmste – für den Einzelnen kein Entrinnen gibt.
Roman Joseph O’Neill: Der Hund. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Rowohlt, 320 Seiten, 22,95 Euro.