Gotthard-Eröffnung ist auch Signal gegen Abschottung

Berlin (APA/Reuters) - Als am Mittwoch der längste Eisenbahntunnel der Welt feierlich eröffnete, gaben sich die Top-Europäer in der Schweiz ...

Berlin (APA/Reuters) - Als am Mittwoch der längste Eisenbahntunnel der Welt feierlich eröffnete, gaben sich die Top-Europäer in der Schweiz ein Stelldichein. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi reisten an, um den Gottardo 2016 zu würdigen, den 57 Kilometer langen Tunnel durch die Alpen. Auch wenn der neue österreichische Bundeskanzlerin Christian Kern anwesend war: Der Auftritt des Trios wirkte wie ein Zeichen an die Regierung in Wien.

Während dort aus Furcht vor über das Mittelmeer kommenden Flüchtlingen eine Abschottung des Brenner-Passes diskutiert wird, reisten Merkel, Hollande und Renzi demonstrativ zur Eröffnung einer neuen Verkehrsverbindung für Menschen und Waren innerhalb Europas. „Norden und Süden gehen aufeinander zu“, lobte die Kanzlerin in ihrer Ansprache. „Große Bauwerke sind immer verbunden mit Symbolkraft“, betonte der französische Präsident. „Freizügigkeit ist das Wichtigste.“

Merkel hatte schon Anfang Mai in Rom erklärt, was sie von den unilateralen Überlegungen der Österreicher zum Brenner-Pass hält - nichts. Ohne Not, so heißt es in der Bundesregierung, habe Österreich bereits im Februar einseitig Kontrollen an seiner Südgrenze eingeführt und zusammen mit den Balkanstaaten die Flüchtlingsroute geschlossen - aber nur für sich. Denn in Griechenland stauten sich danach rund 50.000 Flüchtlinge. Die Last sei einfach nur auf den Euro- und EU-Partner Griechenland verlagert worden. Dass Österreich dennoch auch mit einer Abschottung des Brenners - einer der zentralen transeuropäischen Routen - drohte, hält auch Renzi „für falsch und anachronistisch“. Aber der Riss verläuft nicht nur zwischen EU-Partnern, sondern in Deutschland auch zwischen CDU/SPD und CSU.

Das Gottardo-Treffen am Mittwoch war aber nur der sichtbarste Hinweis darauf, dass sich die großen EU-Gründungsstaaten intensiver absprechen wollen. Ein Grund dafür: Am 23. Juni droht beim Brexit-Referendum ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Vor allem in Osteuropa und Österreich haben antieuropäische und populistische Kräfte massiven Auftrieb. Das stellt auch aus Sicht der EU-Kommission die Solidarität der Europäer untereinander infrage. Um die EU dennoch zusammenzuhalten, müssten Merkel, Hollande und Renzi stärker als bisher an einem Strang ziehen, heißt es in der Bundesregierung. Sie werden geradezu dazu gedrängt: Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch Papst Franziskus hatten in den vergangenen Wochen an Zusammenhalt und humanitäre Verantwortung Europas appelliert.

Das war sowohl Unterstützung für Merkels Kurs als auch die klare Aufforderung an die „Großen“ in der EU, mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch die G-7-Partner USA, Kanada und Japan unterstützten auf dem Gipfel vergangene Woche diese Position. Merkel hatte Anfang Mai die besondere Verantwortung der Gründungsnationen der EU betont. Mit dem Niederländer Mark Rutte als derzeitigem EU-Ratspräsidenten spricht sie sich ohnehin sehr eng ab.

In Hannover hatten sich Merkel, Hollande und Renzi bereits Obama am Rande der Hannover-Messe zum sogenannten informellen „Quint“-Format getroffen, dabei war auch der britische Premier David Cameron. Und auch in Japan sprach man auf dem G-7-Gipfel über die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die man „gemeinsam beschreiben, besprechen und auch unsere Aktionen dann abstimmen“ wolle, wie Merkel sagte. Denn eines eint alle: Am Ende müssen es in Syrien, der Ukraine oder Libyen ohnehin die großen EU-Länder richten.

Solche Treffen waren in der Vergangenheit von den kleineren EU-Partnern skeptisch betrachtet worden. Aber für solche Sensibilitäten sei derzeit kein Platz, sagt der Europa-Experte Josef Janning vom European Council on Foreign Relation (EFCR). „Früher hätten Polen und Spanien aufgeschrien, weil sie nicht eingeladen waren.“ Jetzt aber definiert sich die neue nationalkonservative polnische Regierung stärker in Abgrenzung zu den EU-Partnern, und Spanien steckt seit Monaten in einer institutionellen Krise fest. Kleinere EU-Partner wie Österreich oder Ungarn gehen in der Flüchtlingskrise selbst unilaterale Wege - auch wenn der neue österreichische Bundeskanzler Kern eine etwas andere Tonlage anschlug als der zurückgetretene Werner Faymann.

Experte Janning sieht die Treffen der Großen deshalb auch nicht als Aufbruchsignal, sondern eher als ein Krisenzeichen. Das Trio ersetze nun auch die nicht gut funktionierende deutsch-französische Abstimmung. „Aus Merkels Sicht ist dies deshalb durchaus sinnvoll, auch Renzi einzubeziehen“, sagt er. Die Deutsche, der Franzose und der Italiener seien einig im Kampf für offene Grenzen im EU-Binnenmarkt - auch das sollte das Treffen in der Schweiz unterstreichen.