Brexit - Spekulationen über Vorrücken der EU-Ratspräsidentschaften
London (APA) - Sollten die Briten am 23. Juni für den EU-Austritt (Brexit) stimmen, droht auch der Kalender der EU-Ratspräsidentschaften dur...
London (APA) - Sollten die Briten am 23. Juni für den EU-Austritt (Brexit) stimmen, droht auch der Kalender der EU-Ratspräsidentschaften durcheinanderzugeraten. Das Vereinigte Königreich wäre planmäßig in der zweiten Jahreshälfte 2017 mit dem EU-Vorsitz an der Reihe.
Doch in Brüsseler Diplomatenkreisen gilt es hinter den Kulissen mittlerweile als wahrscheinlich, dass Großbritannien auf die Ratspräsidentschaft verzichten würde, wenn eine Mehrheit für den EU-Austritt des Landes stimmt. Die Durchführung einer EU-Ratspräsidentschaft durch ein Land, das über den Austritt aus der Europäischen Union verhandelt, sei nicht wahrscheinlich, wird in Brüssel auf den diplomatischen Gängen gemunkelt.
Als wahrscheinlichstes Szenario gilt in diesem Fall, dass die nachfolgenden Präsidentschaftsländer ihren jeweiligen EU-Vorsitz um ein halbes Jahr vorrücken müssten. Österreich wäre dann nicht in der ersten Hälfte des Jahres 2019 an der Reihe, sondern schon in der zweiten Hälfte 2018. Falls es dazu kommt, hätte der Termin eine gewisse innenpolitische Brisanz, denn spätestens im Herbst 2018 finden in Österreich die nächsten planmäßigen Nationalratswahlen statt, wenn es nicht vorher zu Neuwahlen kommt.
Die britische EU-Botschaft in Brüssel wollte dazu auf Anfrage nicht Stellung nehmen. Eine Sprecherin verwies gegenüber der APA auf die „Purdah“ - eine vierwöchige Periode vor dem EU-Referendum, in der britische Beamte zu den Fragen rund um den Volksentscheid per Gesetz nicht Stellung beziehen dürfen. Eine EU-Diplomatin eines anderen Mitgliedstaates sagte, selbst wenn über solche Planspiele im Fall eines „Brexit“ gesprochen werde, würde vor dem Referendum niemand damit an die Öffentlichkeit gehen, um nicht Botschaften eines „Plan B“ für den Fall eines EU-Austritts auszusenden.
Der Kalender für die sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaften bis 2020 wurde bereits im Jahr 2004 von den EU-Botschaftern beschlossen. Planmäßig wären nach der derzeitig amtierenden niederländischen EU-Ratspräsidentschaft folgende Länder dran: Slowakei (2016), Malta und Großbritannien (2017), Estland und Bulgarien (2018), Österreich und Rumänien (2019) sowie Finnland (2020).
In der Vergangenheit gab es keinen zu einem Brexit vergleichbaren Fall. Lediglich Deutschland und Finnland vereinbarten 2001 einen Tausch ihrer EU-Ratspräsidentschaften in den Jahren 2006 und 2007. Weil Anfang 2007 in Finnland ein neues Parlament gewählt wurde, übernahm Helsinki den Vorsitz schon 2006 und Deutschland folgte dann in der ersten Jahreshälfte 2007. Ein Vorziehen der EU-Vorsitze würde die EU-Staaten vor organisatorische Herausforderungen stellen, hieß es in Ratskreisen. Zwei bis drei Jahre Vorbereitungszeit gelten als üblich, bevor ein Land für ein halbes Jahr im „Chefsessel“ der EU sitzen darf. Das Vorsitzland hat dann die Präsidentschaft bei den meisten EU-Ministerräten inne, nicht aber bei Gipfeln und Außenministerräten - sie werden vom EU-Ratspräsidenten und von der Hohen Beauftragten geleitet.