Juristen streiten über schwammigen Begriff des Völkermords

Berlin (APA/AFP) - Bei Massakern in der Türkei kamen während des Ersten Weltkriegs bis zu eineinhalb Millionen Armenier und Angehörige weite...

Berlin (APA/AFP) - Bei Massakern in der Türkei kamen während des Ersten Weltkriegs bis zu eineinhalb Millionen Armenier und Angehörige weiterer christlicher Minderheiten ums Leben. Mehr als 20 Staaten bezeichnen diese Gräueltaten mittlerweile als Völkermord. Auch der Deutsche Bundestag stufte die Taten am Donnerstag in einer nahezu einstimmig verabschiedeten Resolution als Völkermord ein.

Wie eng der Begriff allerdings zu definieren ist, darüber streiten Juristen seit seiner Einführung in das Völkerstrafrecht im Jahr 1948. Die Massaker an den Armeniern von 1915 bis 1916 brachten damals erstmals die Frage auf, ob ein Staat mit seiner Bevölkerung machen darf, was er will, oder ob Verantwortliche für solche Verbrechen international zur Rechenschaft gezogen werden können.

Aber erst der millionenfache Mord an Juden durch die Nazis führten Ende 1948 zur „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords“. Die Vereinten Nationen wollten damit ein neues juristisches Instrument schaffen, um derartige Staatsverbrechen zu ahnden oder verhindern zu können.

In der Konvention wird der international als Genozid bezeichnete Völkermord definiert als Absicht eines Staats oder seiner Vertreter, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Zu Völkermord zählt aber auch die Verhinderung von Geburten innerhalb einer Gruppe oder die Verschleppung von deren Kindern in eine andere Gruppe. Völkermord verjährt zudem nicht.

Diese etwas schwammige Definition ist seitdem Anlass zum Streit unter Völkerrechtlern. Debattiert wird etwa, ob die Morde der kommunistischen Roten Khmer in Kambodscha an der eigenen Bevölkerung unter den Begriff des Genozids fallen, weil es sich bei den Opfern nicht um eine Volksgruppe, sondern um politische Gegner handelte. Gestritten wird aber auch, ob Australien des Völkermords schuldig ist, weil es Aborigine-Müttern ihre mit weißen Vätern gezeugten Kinder wegnahm und sie in staatlicher Obhut erzog.

Für die Verfolgung von Völkermord sind zunächst die Heimatländer der jeweiligen Täter zuständig. Können oder wollen sie dies nicht leisten, tritt der 1998 gegründete Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag an deren Stelle. Seinem Statut traten mittlerweile 123 Staaten bei.

In Deutschland regelt das Völkerstrafgesetzbuch in Paragraf sechs die Verfolgung von Völkermord seit Ende Juni 2002. Aber auch nach altem Strafrecht war dies bereits möglich. Die Staatsanwaltschaft kann demnach auch Ausländer verfolgen, die im Ausland Völkermord begingen, sich aber in Deutschland aufhalten. Die deutsche Bundesanwaltschaft gründete zur Ermittlung solcher Täter 2009 ein eigenes Referat und brachte seitdem hier lebende Ruander vor Gericht, die 1994 Massaker an der ruandischen Minderheit der Tutsi befohlen hatten.

Die Türkei lehnt die Bezeichnung der Gräuel an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord vehement ab. Doch selbst wenn sie einen Genozid eingestehen würde, müsste sie wegen der erst später erlassenen UN-Resolution zumindest keine völkerrechtlichen Konsequenzen befürchten.

(Aktualisierte Fassung des HINTERGRUNDS von Mittwoch: NEU: Bundestag verabschiedet Völkermord-Resolution zu Armeniern)