Armenier-Völkermord - Österreich-Ungarn war genau informiert

Wien/Eriwan (APA) - Die Türkei hat am Donnerstag scharf gegen die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestages protestiert. Auch Österreich...

Wien/Eriwan (APA) - Die Türkei hat am Donnerstag scharf gegen die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestages protestiert. Auch Österreich hatte sich den Zorn Ankaras zugezogen, nachdem im April vorigen Jahres der Österreichische Nationalrat eine Erklärung zum Völkermord an den Armeniern 1915 verabschiedet hatte. Auch damals wurde der Botschafter zurückberufen.

In der als Reaktion auf die Erklärung des Nationalrates verfassten türkischen Protestnote wurde auch darauf verwiesen, dass Österreich (die k.u.k-Monarchie) und das Osmanische Reich (als Vorgänger der Türkei) „auf der gleichen Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft haben“. Tatsächlich war Österreich-Ungarn über die Massaker gut informiert.

Dass Österreich-Ungarn und Deutschland als Bündnispartner im Ersten Weltkrieg über die Vorgänge genau Bescheid wussten, bestätigt auch der deutsche Autor und Kulturhistoriker Rolf Hosfeld, der seit Mai 2011 als wissenschaftlicher Leiter des „Lepsiushauses“ in der ostdeutschen Stadt Potsdam fungiert, das sich die „zukunftsorientierte Bearbeitung der deutsch-armenisch-türkischen Geschichte“ zum Ziel gesetzt hat.

In einem Radio-Interview (ORF Ö1) erwähnte Hosfeld eine telegrafische Depesche der deutschen Botschaft in Konstantinopel (Istanbul) vom 7. Juni 1915, in der davon die Rede ist, dass die osmanische Regierung die Absicht habe, „die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.“ Hosfeld: „Das ist ein sehr eindeutiges Urteil. Das Deutsche Reich war bestens informiert. Die Frage, ob ein Völkermord stattgefunden hat oder nicht, hat sich für die deutsche Regierung mit dem 7. Juni nicht mehr gestellt.“

Für Hosfeld ist „es etwas verwunderlich, dass die deutsche Bundesregierung sich dieser Befunde heute nicht mehr erinnert oder sie gar nicht kennt“. Jedenfalls kann aus diesen Dokumenten eine Mitschuld Deutschlands und auch Österreich-Ungarns abgeleitet werden. Laut dem österreichisch-armenischen Historiker und Filmemacher Artem Ohandjanian war die Türkei-Politik während des Ersten Weltkriegs aber vom Deutschen Reich dominiert, wie er ebenfalls gegenüber „Ö1“ erklärte.

Laut Hosfeld gab es in Reihen der deutschen Armee sogar Befürworter der Massaker. So hätten ranghohe Militärs gemeint, „um den Krieg gewinnen zu können, müssten die Armenier ausgeschaltet werden“. Ihnen wurde vorgeworfen, mit dem Kriegsgegner Russland zu kooperieren.

Dass bürokratisch geplante Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg nachweislich mit Wissen der damaligen Verbündeten Deutschland und Österreich-Ungarn durchgeführt wurde, geht auch aus umfangreichen Aufzeichnungen des österreichisch-ungarischen Militärattaches Joseph Ritter von Pomiankowski und den Berichten deutscher Diplomaten hervor.

„Unsere freundschaftlichen Beziehungen (mit dem Osmanischen Reich) dürfen durch diese innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern nicht einmal geprüft werden“, hieß es in einer deutschen Zensurvorschrift von 1915. „Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen.“

Der einzige deutsche Reichstagsabgeordnete, der den Mord an den Armeniern anzuprangern versuchte, war der damals noch zur sozialdemokratischen Fraktion gehörende spätere KPD-Gründer Karl Liebknecht. „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass unsere türkischen Bundesgenossen die Armenier zu Hunderttausenden niedermachen?“, fragte er am 11. Jänner 1916 im Berliner Reichstag, worauf die Sitzung vom Parlamentspräsidium abgebrochen wurde.

Obwohl die Berichterstattung der Zensur unterlag, verbreiteten kleine Missionsblätter Informationen über den Völkermord. So schrieb Mitte 1916 die „Christliche Welt“: „Wir stehen vor einer der größten Katastrophen, die die Geschichte kennt.“ In Ost- und Westanatolien befänden sich keine Armenier mehr. Etwa eine Million seien deportiert worden und Hunderttausende umgekommen. Der deutsche Konsul Walter Rössler berichtete schon im Mai 1915 aus Aleppo (Syrien) über die Vernichtung der Armenier in ganzen Verwaltungsbezirken.

Die deutschen und österreichisch-ungarischen Diplomaten wussten genau, was vor sich ging. Der deutsche Botschafter Werner Freiherr von Wangenheim kabelte nach Berlin, „dass die Regierung tatsächlich das Ziel verfolgt, die armenische Rasse zu vernichten“. Das Schlimmste sei, jammerte Wangenheim, „dass die ganze Welt die Schuld auf Deutschland abwälzen wird, da Freund und Feind glaubt, die Macht liege ganz in unseren Händen und eine so tiefgehende Maßnahme könne nur mit unserer Zustimmung ausgeführt werden“.

1913 hatte Kaiser Wilhelm II. 42 hohe deutsche Offiziere mit General Otto Liman von Sanders (vom Sultan zum Pascha ernannt) an der Spitze zur Unterstützung der osmanischen Armee in die Türkei entsandt. Liman hatte mit Sitz und Stimme im Obersten Kriegsrat die Möglichkeit, auf alle militärischen Entscheidungen der Türken Einfluss zu nehmen.

Wie der Schweizer Historiker Christoph Dinkel nachweisen konnte, sind deutsche Offiziere sogar bei den Deportationen mit Rat und Tat zur Seite gestanden. „Es kann nicht geleugnet werden, dass deutsche Offiziere - und ich gehöre auch dazu - zu bestimmten Zeiten den Rat geben mussten, gewisse Gebiete im Rücken der Armee von Armeniern frei zu machen“, zitiert Dinkel den seinerzeitigen deutschen Operationschef im türkischen Generalhauptquartier, Otto von Feldmann.

Der österreichische Generalkonsul in Trapezunt (Trabzon), Ernst von Kwiatkowski, berichtete am 22. Oktober 1915 nach Wien: „Aus deutscher Quelle erfahre ich, dass die erste Anregung zur Unschädlichmachung der Armenier von deutscher Seite erfolgt sei.“ Liman beschuldigte „die Armenier“, auf der Seite des Kriegsfeindes Russland zu stehen. „Das ganze armenische Volk hat sich schuldig gemacht“, schrieb Felix Guse, der ranghöchste deutsche Offizier an der kaukasischen Front.

Der von deutschen Katholikenkreisen um den Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger (der die erschreckenden Nachrichten von Franziskanermönchen erhalten hatte) erzeugte Druck veranlasste die deutsche Regierung, 1916 bei der türkischen Regierung „Verwahrung“ gegen die grausame Behandlung der Armenier einzulegen. Daraufhin forderte Kriegsminister Enver Pascha mit Erfolg die Abberufung des deutschen Botschafters Paul von Wolff-Metternich.

Vor allem auf britischen Druck kam es bald nach dem Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich unter neuer Regierung zu Prozessen gegen Täter des Völkermordes. Allen voran wurden 1919 Ex-Innenminister Talat Pascha, Ex-Kriegsminister Enver Pascha und Ex-Marineminister Cemal Pascha, die ein mächtiges Triumvirat gebildet hatten, zum Tod verurteilt - allerdings in Abwesenheit, denn sie hatten sich nach Deutschland abgesetzt. Sie entgingen der Hinrichtung; Talat und Cemal Pascha wurden später von armenischen Attentätern der Rache-Operation Nemesis umgebracht. 1919 konnten die Armenier auch noch in Konstantinopel der Völkermord-Opfer gedenken.

Insgesamt wurden rund 100 Verdächtige festgenommen. Das Todesurteil gegen den Gouverneur Mehmed Kemal, der ein Massaker an Zehntausenden Armeniern in seiner Provinz Yozgat angeführt hatte, und seine Hinrichtung galten als erste rechtsstaatliche Belangung eines Staatsfunktionärs im Fall derartiger Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der juristische Aufarbeitungsprozess, der in der türkischen Bevölkerung Empörung hervorrief, verlief jedoch später im Sand. Sah der nie ratifizierte Vertrag von Sevres noch vor, die Verantwortlichen für den Völkermord vor ein internationales Tribunal zu stellen, kehrte ihn der Vertrag von Lausanne vollends unter den Teppich und setzte den Kurs der Nichtanerkennung durch die neue türkische Republik fort.

Maßgebliche Zeithistoriker verweisen auch auf die „Vorbildwirkung“ des Genozids an den Armeniern und der Straflosigkeit für die Nationalsozialisten. Mehrere Aussprüche Adolf Hitlers in diesem Zusammenhang sind aktenkundig. Als sich Offiziere skeptisch über das Ansehen Deutschlands angesichts der planmäßigen Ermordung der Juden gezeigt hatten, soll Hitler ihnen gegenüber gemeint haben: „Wer erinnert sich heute noch an die Massaker der Türken am armenischen Volk?“