Armenien - Kulturgroßmacht im Schatten der Geschichte

Eriwan/Wien (APA) - Die kleine Kaukasusrepublik Armenien (Hayastan), arm und in Konflikte mit ihren Nachbarstaaten verwickelt, kann auf eine...

Eriwan/Wien (APA) - Die kleine Kaukasusrepublik Armenien (Hayastan), arm und in Konflikte mit ihren Nachbarstaaten verwickelt, kann auf eine mehr als 2000 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Das armenische Volk, von dem nur ein kleiner Teil - rund 3,3 Millionen Menschen - in der früheren Sowjetrepublik lebt, repräsentiert bis heute eine Kulturgroßmacht, die aber von der Weltöffentlichkeit oft nicht in gebührendem Ausmaß wahrgenommen wird.

Am bekanntesten sind jene der rund 7 Millionen über den Erdball verstreuten Armenier, die berühmt gewordene Familiennamen tragen, die auf die Silbe „-yan“ (bzw. „-ian“) enden. Etwa der französische Sänger Charles Aznavour (er heißt eigentlich Vaghinak Aznavuryan), der sowjetische Komponist Aram Chatschaturian oder die US-Sängerin und Schauspielerin Cher (Cheryl Sarkisian LaPierre) - und viele andere.

Wohlhabende, in der Diaspora lebende Armenier, haben beeindruckende Kunstsammlungen angelegt, wie etwa Calouste Sarkis Gulbenkian, dessen Namen eine Stiftung in Lissabon trägt. Aber auch in Wien-Neubau finden sich Zeugnisse armenischer Hochkultur, die der Mechtaristenorden verwaltet.

Die Mönche des armenisch-katholischen Ordens waren 1811 in Wien eingezogen, wo ihnen Kaiser Franz I. ein früheres Kapuzinerkloster zuwies. Heute gilt es als wichtigstes Zentrum armenischer Kultur in Mitteleuropa. Die Bibliothek umfasst rund 200.000 Bände, eine Sammlung früher Handschriften ab dem 9. Jahrhundert sowie armenische Volkskunst und Münzen. Der Sitz des Generalabts der Mechitaristen ist in Venedig, wo auf der Insel San Lazzaro ein einzigartiges Museum besteht.

Die Kultur Armeniens entwickelte sich in Perioden kurzer Selbstständigkeit, zumeist aber unter Fremdherrschaft. Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Georgier, Araber, Mongolen, Türken und Russen hinterließen eine Blutspur in dem Land, dessen heutige Grenzen nur einen Bruchteil des ursprünglichen Siedlungsgebietes ausmachen. Dieses erstreckte sich weit in die Türkei und in Staaten des Nahen Ostens. Doch Armenien wurde nach und nach aufgeteilt und zerstückelt. Viele Armenier verließen ihre Heimat.

Die um das Jahr 300 zum Christentum bekehrten Armenier konnten unter den muslimischen Herrschern eine gewisse Selbstständigkeit wahren und ihre Kultur weiter entfalten. Zahlreiche, zum Teil von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Kirchen und Klöster, zeugen noch heute davon. Die armenische Sprache - indogermanisch und mit eigener Schrift - bildete die Grundlage einer hochstehenden Literatur.

Im 16. Jahrhundert unterhielten armenische Kaufleute, auf die weit gestreuten Gemeinschaften ihrer Landsleute gestützt, ein Handelsnetz, das den gesamten eurasischen Raum umspannte. Die Verfolgungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts brachten Armenier auch nach Nord- und Südamerika sowie Australien. In Europa war Frankreich das Hauptziel der armenischen Flüchtlinge.

Einen tragischen Tiefpunkt erreichte die armenische Geschichte im Ersten Weltkrieg. Als die Armenier versuchten, sich mit Hilfe Russlands aus dem untergehenden Osmanischen Reich zu lösen, kam es in den Jahren 1915 bis 1917 zu Verfolgung und Vertreibung durch die politische Bewegung der herrschenden Jungtürken. Etwa 1,5 Millionen Armenier kamen ums Leben - ein Trauma, das bis heute nicht aufgearbeitet ist. Die Forderung Armeniens, diese Ereignisse als Völkermord anzuerkennen, wird bis heute von der Türkei kategorisch zurückgewiesen.

Im Mai 1918 wurde die unabhängigen Republik Armenien in Eriwan ausgerufen. Zwar wurde im Vertrag von Sevres 1920 diese Unabhängigkeit anerkannt, doch der Traum von der Selbstständigkeit währte nur kurz. Der Vertrag trat nie in Kraft. In den Jahren 1920/21 erfolgte die Sowjetisierung Armeniens. Das später blutig umkämpfte, mehrheitlich armenisch besiedelte Berg-Karabach wurde unter aserbaidschanische Verwaltung gestellt.

Der Konflikt um Berg-Karabach bestimmte auch seit der Unabhängigkeit Armeniens 1991 die Beziehungen zum Nachbarn Aserbaidschan. Armenien besetzte die Exklave mit Waffengewalt. Seit 1994 herrscht ein - wenn auch immer wieder von blutigen Zwischenfällen überschatteter - Waffenstillstand. Da Aserbaidschan aber seine Ansprüche nicht aufgeben will, ist ein Ende des Konflikts nicht abzusehen.